»Eiserner Widerstand«

Venezuelas Regierung hat mit der Einberufung des Nationalen Verteidigungsrates auf die jüngsten Attacken der Opposition reagiert. Präsident Nicolás Maduro kündigte am Dienstag (Ortszeit) in einer von allen Fernsehsendern übertragenen Rede vor Tausenden Anhängern in Caracas an, dieses nach Artikel 323 der Verfassung oberste Beratungsgremium in Angelegenheiten der nationalen Verteidigung Venezuelas zu aktivieren. Es setzt sich aus den Repräsentanten aller öffentlichen Gewalten zusammen. Somit gehört auch Parlamentspräsident Henry Ramos Allup, einer der wichtigsten Widersacher der Regierung, dem Gremium an. Maduro forderte ihn ausdrücklich auf, an der für den gestrigen Mittwoch geplanten Sitzung teilzunehmen, um über den »parlamentarischen Putsch« der Nationalversammlung zu beraten.

Das vom Oppositionsbündnis MUD (Tisch der demokratischen Einheit) kontrollierte Parlament hatte am Sonntag beschlossen, unter anderem gegen die obersten Richter und die Direktoren des Nationalen Wahlrats (CNE) vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag Klage einzureichen. Am Dienstag folgte ein weiterer Beschluss mit konkreten Schritten zum Sturz Maduros, dem die Oppositionellen Verstöße gegen die Verfassung vorwerfen. Zudem verlangen die Parlamentarier, dass der Staatschef am 1. November vor ihnen Rechenschaft über die »schweren Verletzungen der Verfassung, der Menschenrechte und der Demokratie« ablegt. Es dürfte ausgeschlossen sein, dass Maduro dem Folge leistet. Nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofs (TSJ) gelten die Sitzungen des Parlaments als »null und nichtig«. Die Richter hatten am 28. Juli alle Beschlüsse der Legislative für ungültig erklärt, weil das Parlament vorherige Anordnungen des TSJ ignoriert hatte.

Anlass für den jüngsten Vorstoß der Opposition ist eine Entscheidung, die der CNE in der vergangenen Woche getroffen hatte. Sie betrifft die eigentlich für diese Woche geplante Sammlung der Unterschriften von 20 Prozent der Wahlberechtigten, um damit ein Amtsenthebungsreferendum gegen Maduro durchzusetzen. Schon Ende April hatte die Opposition dazu in einem ersten Schritt knapp zwei Millionen Unterschriften vorgelegt. Bei diesen wurden jedoch zahlreiche Unregelmäßigkeiten festgestellt. So tauchten fast 11.000 Verstorbene in den Listen auf. Trotzdem akzeptierte der CNE das Ergebnis und bereitete den zweiten Schritt vor. Am 20. Oktober stoppten jedoch Gerichte in fünf Bundesstaaten diesen Prozess, weil sie die erste Sammlung wegen der Manipulationen für ungültig erklärten. Daraufhin sah sich der CNE gezwungen, die zweite Unterschriftensammlung vorläufig auszusetzen.

Die Opposition interpretiert die Entscheidung der Wahlbehörde als »Staatsstreich« Maduros. Für Mittwoch rief sie ihre Anhänger zu erneuten landesweiten Protesten unter dem Motto »Besetzung von Venezuela« auf.

Bei ihrer Kampagne gegen die Regierung nimmt es die Rechte auch in Kauf, den Vatikan zu brüskieren. Der Gesandte des Kirchenstaates, Emil Paul Tscherrig, hatte am Montag (Ortszeit) angekündigt, dass Vertreter beider Seiten am Sonntag auf der Isla Margarita zu Gesprächen zusammenkommen werden. Das sei bei einem Treffen Tscherrigs mit Abgesandten von Regierung und Opposition vereinbart worden. An der Unterredung hatten auch der frühere spanische Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero, der dominikanische Expräsident Leonel Fernández und der ehemalige Staatschef von Panama, Martín Torrijos, teilgenommen. Wenige Stunden später wies der Oppositionspolitiker Henrique Capriles Radonski die Ankündigung zurück, von der er »aus dem Fernsehen erfahren« habe. Dagegen musste die MUD in einem Kommuniqué indirekt einräumen, dass Tscherrigs Darstellung der Realität entsprach – um dann zugleich neue Bedingungen zu stellen. So sollten die Verhandlungen öffentlich und in Caracas stattfinden.

Capriles rief in der Nacht zum Mittwoch das Militär auf, »zur Verteidigung der Verfassung« einzugreifen. Einem solchen Ansinnen hatte das Oberkommando der Streitkräfte bereits am Dienstag widersprochen. In einem von Verteidigungsminister Vladimir Padrino verlesenen Kommuniqué betonen die Generäle ihre Loyalität zur rechtmäßigen Regierung und formulieren »Vorbehalte« gegenüber dem am Sonntag von der Nationalversammlung gefassten Beschluss. So kritisieren die Soldaten, dass die Abgeordneten internationale Instanzen zum Eingreifen aufgefordert haben. Die Streitkräfte seien bereit, jeder »unter welchem Vorwand auch immer« begonnenen Intervention in Venezuela »eisernen Widerstand« entgegenzusetzen.

Erschienen am 27. Oktober 2016 in der Tageszeitung junge Welt