junge Welt, 5. Mai 2011

Einheitsschwur in Kairo

junge Welt, 5. Mai 2011Nach vier Jahren gewaltsamer Auseinandersetzungen haben alle wichtigen palästinensischen Organisationen am Mittwoch in der ägyptischen Hauptstadt Kairo ein Versöhnungsabkommen unterzeichnet. Damit solle »das dunkle Kapitel der Teilung für immer beendet« werden, so der palästinensische Präsident Mahmud Abbas, der den Vertrag für die Fatah signierte. Er werde bald in den Gazastreifen reisen, der von der Hamas regiert wird, kündigte Abbas an. Für diese islamische Organisation unterzeichnete Chaled Maschaal das Dokument. Auch Vertreter der linken Organisationen PFLP, DFLP und Palästinensische Volkspartei setzten ihre Namen unter das Dokument. Auf den Straßen von Gaza und in der Westbank feierten die Menschen das Abkommen, berichtete die palästinensische Nachrichtenagentur PNN.

Der Konflikt zwischen den beiden größten Palästinenserorganisationen war im Dezember 2006 ausgebrochen, als Sicherheitskräfte der von der Fatah kontrollierten Palästinensischen Autonomiebehörde das Feuer auf eine Demonstration der Hamas in Ramallah eröffneten. In der Folge kam es zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen, sodaß die Autonomiegebiete praktisch geteilt wurden: in den von der Hamas kontrollierten Gazastreifen und das von der Fatah dominierte Westjordanland. Am 14. Juni 2007 erklärte Abbas dann die Auflösung der bis dahin bestehenden Einheitsregierung – die nun wieder entstehen soll. Innerhalb eines Jahren sollen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stattfinden.

Die israelische Regierung verurteilte die Aussöhnung der Palästinenser. Abbas müsse sich entscheiden, ob er »lieber Frieden oder die Aussöhnung mit der Hamas« wolle, so Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Die Bildung einer solchen Regierung bedeute »das Ende des Friedensprozesses«. Abbas wies das zurück. Israel müsse sich vielmehr zwischen seiner Siedlungspolitik und dem Frieden entscheiden. Tel Aviv nutze die Versöhnung der Palästinenser als Entschuldigung, keine Friedensverhandlungen mehr zu führen.

Demgegenüber befürwortete die israelische Friedensbewegung die Verständigung. Der ehemalige Knessetabgeordnete und Aktivist der Menschenrechtsorganisation »Gush Shalom«, Uri Avnery, sagte, er begrüße das in Kairo erreichte Abkommen von ganzem Herzen. »Die Überwindung der Spaltung durch die palästinensische Einheit stellt keine Bedrohung für Israel dar, sondern ist von großem Interesse.« Der Staat Israel müsse ein Friedensabkommen mit der gesamten palästinensischen Bevölkerung schließen, nicht nur mit einzelnen Fraktionen. Das werde durch die Einheitsregierung möglich.

Das sogenannte Nahostquartett aus Europäischer Union, den USA, Rußland und der UNO wurde von dem innerpalästinensischen Friedensschluß offenbar kalt erwischt. Auch die Bundesregierung hielt sich mit einer Einschätzung des Abkommens zurück und will den Besuch von Abbas abwarten, der am heutigen Donnerstag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammentreffen wird. Ein Vertrauter Abbas’ forderte das Vermittlergremium auf, die Forderung nach einer Anerkennung Israels durch die Hamas fallenzulassen: Präsidentenberater Nabil Schaath sagte am Mittwoch im israelischen Rundfunk, solche Forderungen seien »unfair, unpraktikabel und nicht sinnvoll«. Das Nahostquartett müsse nur wissen, daß sich die Hamas jeglicher Gewalt enthalten werde und am Friedensprozeß interessiert sei.

Erschienen am 5. Mai 2011 in der Tageszeitung junge Welt