Einer, der vom Himmel fiel

Wenn Volker Hermsdorf in der Redaktion anruft, schrillen bei den Redakteuren die Alarmglocken. Nicht etwa, weil Gespräche mit dem Norddeutschen irgendwie unerfreulich wären, im Gegenteil. Wenn der Hamburger zu schnacken anfängt, dann ist das meistens eine helle Freude. Aber kurze Telefonate sind seine Sache nicht. Eine Unterhaltung mit Volker dauert gerne mal eine halbe Stunde oder länger.

Zugleich hat er aber auch volles Verständnis dafür, wenn man mal kurz angebunden ist und ihn abwürgen muss, weil der Redaktionsschluss naht. Denn Volker ist vom Fach. Er war Redakteur beim damals noch sozialdemokratischen Boulevardblatt Hamburger Morgenpost und arbeitete später für die Metall, die Zeitschrift der IG Metall, und deren Regionalseiten für den Bezirk Küste. Im Herbst 2009 brachte die IGMigration, ein vom Ressort Migration und Integration der Industriegewerkschaft herausgegebenes Informationsblatt, ein etwas unscharfes Schwarzweißfoto, das Volker Hermsdorf mit Bauhelm auf dem Kopf im Kreis des Migrationsausschusses Küste zeigt. Volker hatte als Mitglied der Bezirksleitung fachspezifische Deutschkurse für Schweißer im U-Boot-Bereich organisiert. »Unsere Kollegen haben ja kein Problem mit der Alltagssprache, sie benötigen ganz spezifische Kenntnisse. Und genau hier haben wir angesetzt«, wird Volker in dem dazugehörigen Beitrag zitiert.

Solidarität war und blieb das Leitmotiv des Kollegen Hermsdorf. Und da es ihm weiter in den Fingern kribbelte, nachdem er 2012 von der Gewerkschaft in den Ruhestand verabschiedet worden war, konnte er endlich seine großen Leidenschaften verbinden: das Schreiben – und Kuba. Die rebellische Inselrepublik ist ihm längst eine zweite Heimat geworden, über Jahre verbrachte er regelmäßig mehrere Monate unter der karibischen Sonne, seine Frau ist Kubanerin. Und um darüber schreiben zu können, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, meldete er sich bei der jW.

Ich kann mich noch gut an die ersten Gespräche erinnern, die ich als damaliger Redakteur mit unserem neuen Autor führte. Die uns besonders am Herzen liegende Berichterstattung über Kuba war zu dieser Zeit eine besondere Herausforderung. Zwar schrieb eine kubanische Kollegin regelmäßig Beiträge über die Entwicklungen auf der Insel – aber sie konnte nicht wissen, welche Informationen speziell Leserinnen und Leser im deutschsprachigen Europa brauchen. Vieles muss von Grund auf erklärt werden, für Kubaner selbstverständliche Dinge sind hier manchmal komplett unbekannt. Da fiel plötzlich ein professioneller Journalist vom Himmel, der seine Unterstützung anbot. Das passiert einer Redaktion nicht alle Tage, und noch seltener ist es, wenn sich daraus tatsächlich eine langfristige Zusammenarbeit entwickelt.

Der erste Beitrag von Volker Hermsdorf, der im Onlinearchiv der jW zu finden ist, datiert auf den 27. Juli 2012, symbolträchtig nur einen Tag nach dem Jahrestag des Sturms auf die Moncada-Kaserne. Und schon dieser Beitrag zeigte eine besondere Leidenschaft des neuen Autors: Hart mit den Konterrevolutionären ins Gericht zu gehen, die Kuba den eigenständigen Weg versperren wollen. Beeindruckend dann ein Jahr später seine Schilderung aus erster Hand: Volker hatte sich in Havanna mit der Cholera infiziert und musste im Institut für Tropenmedizin behandelt werden. So erlebte er unmittelbar mit, was wirklich vor sich ging – und konnte als Augenzeuge die Fake News der westlichen Medien zerpflücken. Als Contra-Kanäle über einen Exilkubaner aus New York berichteten, dem nach seiner angeblichen Choleraerkrankung eine horrende Krankenhausrechnung präsentiert worden sei, schrieb Volker am 30. August 2013: »Peinlich dabei: Meine Frau Lázara und ich lagen genau im gleichen Zeitraum, den der Kronzeuge angibt, mit einer Cholerainfektion im gleichen Krankenhaus und können bestätigen, dass die Geschichte von vorne bis hinten erlogen ist.«

Aber eine kleine Tageszeitung mit ihrer begrenzten Zahl an Seiten reicht einem wie Volker Hermsdorf einfach nicht. Er schreibt regelmäßig auch für andere Zeitschriften wie ­Ossietzky, Cuba Libre oder das Onlineportal Cubainformación. Inzwischen sind außerdem mehrere Bücher von ihm erschienen: über Fidel Castro und die Kubanische Revolution bei Papyrossa, eine Biographie über Raúl Castro im Verlag Wiljo Heinen oder auch – im selben Verlag – mehrere ausführliche Gespräche mit dem früheren DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow und anderen Persönlichkeiten aus dem anderen Deutschland.

Am 12. Dezember feiert Volker Hermsdorf nun seinen 70. Geburtstag. Wir gratulieren!

Erschienen am 11. Dezember 2021 in der Tageszeitung junge Welt