Ein Präsident im Paralleluniversum

Als »absoluten Nonsens« und eine Rede voller »Lügen und Verdrehungen« hat Bernard »Bernie« Sanders den Wahlkampfauftakt von US-Präsident Donald Trump bezeichnete. Der Senator, der im nächsten Jahr für die Demokraten gegen den Amtsinhaber ins Rennen gehen will, hatte am Dienstag abend (Ortszeit) unmittelbar nach dem Ende einer Veranstaltung Trumps in Orlando per Videoansprache auf Facebook seine Einschätzung dargelegt. Es sei eine »sehr unangenehme Aufgabe« gewesen, sich die Ansprache anzuhören, so Sanders. Der Amtsinhaber habe seine Zuhörer in ein »Paralleluniversum« entführt, die »boomende Wirtschaft« bejubelt, jedoch kein Wort darüber verloren, dass die soziale Ungleichheit in den USA so groß sei wie nie zuvor und sich Millionen Menschen »von Job zu Job hangeln« müssten, um ihr eigenes Überleben zu sichern. Trump habe auch nicht erwähnt, dass 83 Prozent der Steuereinnahmen dem »einen Prozent« der Superreichen zugute gekommen seien, während Großkonzerne wie Amazon praktisch keine Abgaben entrichteten.

Trump hatte vor rund 20.000 Anhängern im Bundesstaat Florida offiziell die Kampagne für seine Wiederwahl 2020 eröffnet. Dabei behauptete er, dass die ganze Welt »Amerika« um seine Wirtschaft beneide, die »blüht, gedeiht und boomt« und sich »zu unglaublich neuen Höhen« aufschwinge – »vielleicht die großartigste Ökonomie, die wir in der Geschichte unseres Landes je gehabt haben«. Das neue Motto seines Wahlkampfs sei deshalb »Keep America Great« (Amerika großartig halten) – eine Abwandlung seines bisherigen Slogans »Make America Great Again« (Macht Amerika wieder großartig).

Das Wirtschaftsmagazin Fortune widersprach dem Präsidenten in einem Faktencheck umgehend: Trump könne zwar mit vollem Recht auf eine gute Wirtschaftslage verweisen, doch er habe keine Rekorde gebrochen, sondern profitiere von einem Aufschwung, der schon Mitte 2009 begonnen habe. Im ersten Quartal 2019 sei die Ökonomie um 3,9 Prozent gewachsen – das sei nur in den vergangenen vier Jahren der höchste Wert im Vergleichszeitraum gewesen, in den 1990er Jahren seien die Werte deutlich höher gewesen.

Trump versprach weiter, in seiner zweiten Amtszeit Krebs und AIDS auszurotten, er werde die Religionsfreiheit und das Recht verteidigen, Waffen zu tragen. Schließlich attackierte er den »verrückten Bernie« Sanders: »Die Amerikaner glauben nicht an Sozialismus, sie glauben an Freiheit.«

Nicht weit entfernt vom Ort der Kundgebung versammelten sich mehrere hundert Gegendemonstranten unter dem Motto »Mit Liebe gewinnen«. Zu dem Protest hatten Verbände der in Orlando starken LGBT-Bewegung und Immigranten aus Lateinamerika aufgerufen. Zu sehen war auch der schon von den Protesten gegen die Besuche des US-Präsidenten in Großbritannien bekannte »Baby Trump«-Luftballon. Puertoricaner erinnerten an die Demütigung der Insel, nachdem der Hurrikan »Maria« 2017 große Zerstörungen angerichtet und fast 3.000 Menschen das Leben gekostet hatte. Auf einem Transparent zeigten sie ein Foto der Szene, als der Präsident damals Toilettenpapier in die Menge der auf Hilfe wartenden Menschen geworfen hatte: »Puerto Rico wird nicht vergessen!« Auf anderen Schildern protestierten Demonstranten gegen die Migrationspolitik der Administration:»Trump sperrt Kinder in Käfige!«

Auch die demokratische Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez attackierte die Abschottungspolitik des Präsidenten scharf. »Die Vereinigten Staaten betreiben Konzentrationslager an unserer südlichen Grenze«, sagte sie am Montag abend (Ortszeit) während einer Liveübertragung im Internetdienst Instagram. Sie warf Trump eine »autoritäre und faschistische« Politik vor. Das sei der Charakter einer Regierung, »die Konzentrationslager schafft«. Nach scharfer Kritik aus der Republikanischen Partei bekräftigte sie die Kritik am Dienstag abend. Auf Twitter verbreitete sie ein Video, dass sie im vergangenen Jahr am Zaun einer solchen Haftanstalt zeigte: »Ich bin zu dem Konzentrationslager geflogen, in dem die Trump-Administration Kinder festhielt, die sie ihren Eltern gestohlen hatte. Dort habe ich mich entsprechend meines Gewissens geäußert. Das werde ich weiter tun.«

Erschienen am 20. Juni 2019 in der Tageszeitung junge Welt