Ein Fischkutter gegen Hitler

In den 60er Jahren waren Piratensender populär, die von Schiffen in den internationalen Gewässern der Nordsee Popmusik vor allem nach Großbritannien und in die Niederlande ausstrahlten. An einen Vorläufer dieser »Seesender« erinnert sich kaum noch jemand, obwohl sich sein Sendestart 2013 zum 75. Mal jährte: Im Januar 1938 hatte von einem Fischkutter im Ärmelkanal aus der »Sender der Deutschen Freiheitspartei« seinen Betrieb aufgenommen. Er war neben dem ein Jahr zuvor von Spanien aus gestarteten Deutschen Freiheitssender 29,8 der KPD eine der ersten Radiostationen, die von deutschen Antifaschisten gegen Hitlerdeutschland betrieben wurden.

 

Initiator der hinter dem Seesender stehenden »Deutschen Freiheitspartei« war Carl Spiecker, ein konservativer Zentrumspolitiker. Ab 1928 war er Vorstandsmitglied des SPD-dominierten »Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold« und wurde von dem 1930 bis 1932 amtierenden Reichskanzler Heinrich Brüning zeitweilig zu einem »Sonderbeauftragten für die Bekämpfung des Nationalsozialismus« gemacht. 1933 entließen ihn die Nazis wegen »politischer Unzuverlässigkeit« aus dem Staatsdienst, woraufhin er sich ins Ausland absetzte.

Aktivitäten gegen die Nazis in den ersten Jahren der Diktatur sind von Spiecker nicht überliefert. Erst als immer offensichtlicher wurde, daß die deutschen Faschisten den Krieg vorbereiteten, rief er zusammen mit dem früheren parteilosen Finanzminister Preußens Otto Klepper die »Deutsche Freiheitspartei« ins Leben. Diese habe allerdings praktisch nur auf dem Papier bestanden, der Name habe lediglich der Propaganda gegen das Naziregime gedient, erinnerte sich nach der Befreiung der Sozialdemokrat Ernst Langendorf, früher Mitarbeiter der SPD-Zeitung Hamburger Echo. Ab Mitte Januar 1938 war er der einzige Sprecher des Seesenders, der – je nach Wetterlage – um 19.30 Uhr und 22 Uhr halbstündige Programme ausstrahlte.

Eigentlich war Jakob Altmaier, ein weiterer sozialdemokratischer Journalist, als Moderator vorgesehen, doch schon wenige Tage nach dem Sendestart gab er auf. »Die Arbeits- und Lebensbedingungen auf diesem schmutzigen und primitiven, kohlegetriebenen Schiff waren während der Januarstürme einfach zuviel für ihn«, erinnerte sich Langendorf 1976 gegenüber dem Deutschen Rundfunkarchiv. Die Rede war von der 1913 gebauten »Faithful Friend«, einem Fischkutter. An Bord waren neben dem Sprecher und einem Techniker des sozialdemokratisch geprägten niederländischen Rundfunks VARA sechs Besatzungsmitglieder: Kapitän, ein Koch sowie Matrosen und Heizer.

Ob in Deutschland jemand außer der Gestapo den Sender gehört hat, ist zweifelhaft. Zumal er auf Kurzwelle ausstrahle – den millionenfach produzierten »Volksempfänger« hatten die Nazis aber auf die Mittelwelle beschränkt. Damit waren bei guten Bedingungen vielleicht die BBC aus London oder Radio Moskau zu empfangen – nicht aber die Station aus dem Ärmelkanal oder der Freiheitssender aus Spanien. Das Abhören ausländischer Sender wurde zwar erst mit Kriegsbeginn 1939 verboten, doch schon 1933 war der Empfang von Radio Moskau Grund genug für Urteile wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« gewesen.

Nur drei Monate nach seinem Start verschwand der Sender Mitte April 1938 aus dem Äther. Offenbar war von Paris Druck auf Spiecker ausgeübt worden, woraufhin die »Faithful Friend« einen niederländischen Hafen anlief. Langendorf wurde für einige Stunden in Haft genommen, der Kutter nach England zurückgeschickt. Ursprünglich wollte Spiecker mit einem neuen Schiff, einer Motorjacht, zurückkehren, doch bei einer Probefahrt geriet das neue Schiff in Brand und wurde zerstört. Das war das Ende des ersten und bis heute einzigen deutschen Seesenders.

Erschienen am 22. August 2013 in der Tageszeitung junge Welt