Ein Dorf prescht vor

Katalonien hat am gestrigen Sonntag ein neues Parlament gewählt. Die Abstimmung galt auch als Richtungsentscheidung darüber, ob die autonome Region Kurs auf eine Unabhängigkeit von Spanien nimmt. Die katalanistischen Parteien hatten im Vorfeld der Wahl angekündigt, im kommenden Jahr ein Referendum über die »Selbstbestimmung« durchführen zu wollen. In weiten Teilen der Region, die bislang als wirtschaftliches Rückgrat Spaniens gilt, ist die Entscheidung darüber jedoch bereits gefallen. Der »Assoziation der Gemeinden für die Unabhängigkeit« haben sich eigenen Angaben zufolge inzwischen 624 der insgesamt 947 Regierungsbezirke Kataloniens angeschlossen, unter ihnen die touristischen Hochburgen Lloret de Mar und Calella.

Eine dieser Gemeinden hat es in der vergangenen Woche sogar in die internationalen Medien geschafft. Die Kameras von Russia Today und France 24 richteten sich auf das winzige Gallifa. Zwischen Bergen und Wäldern leben hier, eine knappe Autostunde von Barcelona entfernt, 204 Menschen, die vor allem in der Landwirtschaft arbeiten. Touristisch sind neben der Umgebung noch vier romanische Kapellen zu erwähnen, die von der tausendjährigen Geschichte dieser Ortschaft zeugen. Nun ist diese Gemeinde zu einem Symbol für den Kampf um die Unabhängigkeit geworden, nachdem wenige Tage vor der Parlamentswahl bekannt wurde, daß Gallifas Bürgermeister Jordi Fornés die für das letzte Quartal fälligen Steuern seiner Kommunalangestellten – exakt 1662 Euro – nicht wie vorgeschrieben an das Finanzministerium in Madrid überwiesen hat. Man habe die Abgaben statt dessen an die katalanische Steuerbehörde gezahlt, erklärte Fornés. Die könne die Summe ja an Madrid weiterleiten.

Fornés, der in der kleinen Partei »Katalanische Solidarität für die Unabhängigkeit« (SI) aktiv ist, beruft sich in seinem Vorgehen auf einen Beschluß, den sein Gemeinderat Ende September gefaßt hatte. Darin erklärt sich Gallifa zum »freien und souveränen katalanischen Gebiet« und befreite die Einwohner offiziell von jeder »moralischen Loyalität« gegenüber der spanischen Monarchie und ihren Symbolen. Zugleich wird in der Deklaration das katalanische Parlament aufgefordert, Katalonien zu einem »freien und unabhängigen Staat mit gleichen Rechten und Pflichten wie die anderen unabhängigen Staaten und Nationen der Welt« zu erklären. Legitimiert sei dieser Schritt durch eine lokale Abstimmung, bei dem sich die Einwohner von Gallifa zu 82 Prozent für die Unabhängigkeit ausgesprochen hätten. Bei einer Wahlbeteiligung von 51 Prozent hätten nur zehn Prozent dagegen gestimmt und sechs Prozent leere Zettel abgegeben.

Erschienen am 26. November 2012 in der Tageszeitung junge Welt