Durchbruch in Havanna

In Havanna wurde in der Nacht zum Donnerstag Geschichte geschrieben. Zum ersten Mal reichten sich der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos und der oberste Befehlshaber der »Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens« (FARC), Timoleón Jiménez (Comandante Timochenko), die Hand und unterzeichneten ein Abkommen über die juristische Aufarbeitung des bewaffneten Konflikts, in dem sich beide Seiten seit mehr als einem halben Jahrhundert gegenüberstehen. »Der Frieden ist da«, jubelte die Delegation der FARC-Guerilla im Internetdienst Twitter, und auch Santos erklärte: »Heute gehen wir in dieselbe Richtung, zum Frieden.« Ein endgültiger Friedensvertrag soll innerhalb von sechs Monaten, spätestens am 23. März 2016, unterzeichnet werden. Beide Seiten dankten den Regierungen Kubas, Venezuelas, Norwegens und Chiles, die seit deren Beginn 2012 die Verhandlungen als Vermittler begleitet hatten. Insbesondere wurde die Rolle des kubanischen Präsidenten Raúl Castro hervorgehoben, der sich bei der Pressekonferenz in Havanna zusammen mit den Vertretern der beiden Kriegsparteien zeigte. Kuba hatte hinter den Kulissen immer wieder ein Scheitern der schwierigen Gespräche verhindert.

In dem am Mittwoch (Ortszeit) unterzeichneten Abkommen wird die Schaffung einer besonderen Rechtsprechung in Kolumbien vereinbart, die Verbrechen während des Bürgerkrieges aufarbeiten soll. Dabei sollen sich die kolumbianischen Richter, die von ausländischen Juristen unterstützt werden, auf schwere Kriegsverbrechen, Morde, Entführungen und Vergewaltigungen konzentrieren. Für andere »politische Delikte« will die Regierung eine umfassende Amnestie erlassen. Ausdrücklich klargestellt wird in dem Abkommen, dass nicht nur Verbrechen der Guerilla verfolgt werden sollen, sondern auch solche der kolumbianischen Sicherheitskräfte und Behörden. In den vergangenen Jahren war zum Beispiel wiederholt bekanntgeworden, dass Soldaten unbeteiligte Zivilisten entführten und ermordeten, die dann als getötete Guerilleros präsentiert wurden.

In Kolumbien wurde der Durchbruch bei den Verhandlungen mit Begeisterung aufgenommen. Die frühere Senatorin Piedad Córdoba, die sich seit Jahren für Entspannung einsetzt, jubelte im Internetdienst Twitter: »Mit diesem Händedruck ist ein neues Land geboren worden.« Auch die Vorsitzende der kolumbianischen Dienstleistungsgewerkschaft Asodefensa, María Clara Baquero, sprach gegenüber junge Welt von einer »guten Nachricht«. Am Rande des ver.di-Bundeskongresses in Leipzig zeigte sie sich auch aufgrund ihrer eigenen Geschichte hoffnungsvoll. Sie selbst floh in den vergangenen 25 Jahren immer wieder innerhalb Kolumbiens vor Gewalt und Verfolgung. »Die heutigen Nachrichten stimmen mich hoffnungsvoll«, erklärte sie. »Aber da es sich um ein sehr heikles Thema handelt, müssen wir weiterhin bangen und hoffen, was die Zukunft bringt.«

1985 wurde schon einmal ein Friedensvertrag zwischen dem kolumbianischen Staat und den FARC unterzeichnet. Die Guerilla wagte den Schritt aus der Illegalität und gründete die Partei Unión Patriótica (UP). Daraufhin begann ein Vernichtungskrieg der extremen Rechten, dem rund 5.000 UP-Mitglieder zum Opfer fielen. Die führenden Köpfe der Partei sahen sich schließlich zur Rückkehr zum bewaffneten Kampf gezwungen. Als Lehre daraus haben sich die FARC nun zwar bereit erklärt, zwei Monate nach Unterzeichnung des Friedensvertrages die Waffen niederzulegen – es ist jedoch nicht die Rede davon, die Gewehre abzugeben.

Erschienen am 25. September 2015 in der Tageszeitung junge Welt