Drohende Putschgefahr

Honduras steht an der Schwelle zu einem Staatsstreich. Hohe Offiziere der honduranischen Streitkräfte, der Oberste Gerichtshof und große Teile des Parlaments haben sich offen gegen Präsident Manuel Zelaya gestellt und wollen die von diesem angestrebte Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung verhindern. Am Sonntag nun soll das Volk befragt werden.
Formell geht es dabei zwar lediglich um eine unverbindliche Meinungsumfrage, ob bei den allgemeinen Wahlen am 29. November eine »vierte Urne« aufgestellt werden und neben der Wahl des neuen Präsidenten, der Abgeordneten und der Bürgermeister auch über die Einberufung einer solchen verfassunggebenden Versammlung entschieden werden soll. Allerdings hatten zuvor mehr als eine halbe Million Menschen in dem gut 7,6 Millionen Einwohner zählenden Land mit ihrer Unterschrift die Ausarbeitung einer neuen Verfassung gefordert. Und: Inzwischen hat der Oberste Gerichtshof diese Umfrage für »illegal« erklärt und die Vernichtung des für die Durchführung benötigten Materials angeordnet. Auf der Homepage des Gerichts ist diese Entscheidung zwar nicht zu finden, dafür aber ein Bericht über den Besuch des US-Botschafters in Tegucigalpa, Hugo Lorens, der die »wichtige Rolle« des Gerichts bei der »Stärkung der Demokratie« hervorhob.

Nachdem sich auch das Oberkommando der Streitkräfte weigerte, die von Zelaya angeordnete Verteilung der Unterlagen und Wahlurnen im Land zu übernehmen, entließ dieser am frühen Donnerstag morgen Generalstabschef Romeo Vásquez Velásquez und nahm den Rücktritt seines Verteidigungsministers Edmundo Orellana an. Wenige Stunden später jedoch hob der Gerichtshof die Absetzung des Generals auf und warf dem Präsidenten vor, das Gesetz und die Verfassung des Landes gebrochen zu haben. Dieser zeigte sich empört: »Ich möchte wissen, was in den USA geschehen würde, wenn das Militär die Befehle des US-Präsidenten mißachten würden?« Die Richter hätten entschieden, daß sich die Offiziere selbst regieren dürfen und somit das »Monster der 80er Jahre« wiederbelebt, in denen die Militärs mächtiger als die Zivilisten gewesen seien. Er werde die Gerichtsentscheidung nicht befolgen.

Zelaya scheint entschlossen, die Kraftprobe durchzustehen. Am Donnerstag um 16 Uhr Ortszeit begab er sich mit Tausenden Anhängern zur Luftwaffenbasis von Tegucigalpa und forderte die Herausgabe der für die Umfrage notwendigen Materialien. Die Soldaten leisteten keinen Widerstand und übergaben dem Präsidenten die Kisten. Um 18 Uhr bestätigte Zelaya gegenüber dem lateinamerikanischen Nachrichtensender TeleSur, der den Verlauf der Ereignisse direkt übertragen hatte, daß die Aktion erfolgreich gewesen sei: »Wir bringen die Urnen, damit das Volk sprechen kann!« Die Urnen sollten noch in der Nacht mit Privatfahrzeugen im ganzen Land verteilt werden.

Die rechte Parlamentsmehrheit beschloß hingegen am späten Donnerstag abend, eine »Untersuchung« gegen Zelaya einzuleiten, weil dieser sich weigere, die Gesetze einzuhalten und die Verfassung reformieren wolle. Der von dem christdemokratischen Abgeordneten Ramón Velásquez eingebrachte Antrag fand eine breite Mehrheit unter den Abgeordneten. Nur die Vertreter der linken Partei Demokratische Vereinigung (UD) stimmten dagegen. »Nach Abschluß der Untersuchung werden wir vielleicht drastische Maßnahmen ergreifen müssen, um die Republik zu retten«, kommentierte Velásquez.

Lateinamerikas Regierungen zeigten sich besorgt über die Ereignisse in Honduras, die sie offen als Putschversuch bewerten. Während Honduras die sofortige Einberufung einer Sondersitzung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) beantragte, erklärte Venezuelas Präsident Hugo Chávez, »die Bourgeoisie von Honduras kann sich sicher sein, daß Venezuela und viele andere Länder keinen anderen Präsidenten anerkennen werden, den sie in Honduras installieren wollen«. Auch der Präsident der UNO-Vollversammlung, Miguel d’Escoto, zeigte sich besorgt über die von ihm als Putschversuch bezeichnete Situation in Honduras.

Der seit Januar 2006 als Präsident amtierende Zelaya, der Mitglied der Liberalen Partei (PLH) ist, hatte 2008 überraschend einen deutlichen Linkskurs eingeschlagen. Er sprach sich für einen »sozialistischen Liberalismus« aus und führte sein Land in das von Kuba und Venezuela gegründete antiimperialistische Staatenbündnis ALBA. Entsprechend der geltenden Verfassung des Landes kann Zelaya bei der Präsidentschaftswahl im November nicht wieder antreten.

Erschienen am 27. Juni 2009 in der Tageszeitung junge Welt