Dilemma für Linke

In Katalonien wird am Sonntag ein neues Regionalparlament gewählt. Zu den bekannten Politikern, die sich am meisten im Wahlkampf engagieren, gehört Pablo Iglesias, der Chef der neuen Protestpartei Podemos. Er hofft auf Rückenwind für die spanischen Kongresswahlen am 20. Dezember, bei denen er Ministerpräsident Mariano Rajoy ablösen will. Doch Iglesias fühlt sich in Katalonien nicht wohl. Am vergangenen Sonntag vertraute er einem Journalisten der Tageszeitung El Periódico an: »Es ist, wie Wahlkampf in einem anderen Land zu führen.«

Iglesias wirbt für »Catalunya Sí que es Pot«, was man mit »Katalonien – Yes We Can« übersetzen könnte. Dabei handelt es sich um ein Bündnis seiner Podemos mit der traditionellen Linken in der Region: der linksgrünen »Initiative für Katalonien« (ICV) und der kommunistisch geprägten »Vereinigten und Alternativen Linken« (EUiA). In Barcelona hat diese Allianz funktioniert: Im Mai konnte das Rathaus der katalanischen Hauptstadt erobert werden, mit Ada Colau wurde eine Aktivistin gegen die Zwangsräumung von Wohnungen zur Bürgermeisterin gewählt.

Doch zu den katalanischen Wahlen funktioniert die Kampagne nicht so, wie es sich Iglesias vorgestellt hatte. Dabei schienen die Chancen zunächst gut zu stehen. Erste Umfragen sahen sein Bündnis nach der Gründung im Juli auf Anhieb bei über 20 Prozent und damit gleichauf mit der Liste von Ministerpräsident Artur Mas. Das hat sich inzwischen geändert. Die Werte der Prognosen haben sich nahezu halbiert, während Mas auf eine absolute Mehrheit hoffen kann.

Iglesias ist es nicht gelungen, die Strategie des liberalen Regierungschefs zu durchkreuzen. Der hat die Neuwahlen zu einem Referendum darüber erklärt, ob Katalonien zu einem von Spanien unabhängigen Staat werden soll oder nicht. Wenn seine Liste »Junts pel Sí« (Gemeinsam für das Ja) die Mehrheit gewinnt, soll innerhalb von 18 bis 24 Monaten eine eigenständige Republik proklamiert und eine Verfassung ausgearbeitet werden. Dafür hat er eine Allianz seiner liberalen Partei CDC (Demokratische Konvergenz) mit der sozialdemokratisch orientierten Republikanischen Linken (ERC) und kleineren Gruppen gebildet. Ihr Anspruch ist, für die ganze Gesellschaft Kataloniens zu sprechen. Deshalb führt auch nicht Mas die Liste an, sondern Raül Romeva. Der gehörte bis März der ICV an und saß für sie im Europaparlament – bis er die Linksgrünen verließ, weil sie nicht für die Unabhängigkeit Kataloniens eintreten.

»Junts pel Sí« hat die Abspaltung von Spanien zum zentralen Thema der Wahlkampagne gemacht, auch wenn sich Mas in Interviews mit internationalen und spanischen Medien gesprächs- und kompromissbereit gibt. Bei allen Wahlkampfkundgebungen werben die Kandidaten nicht dafür, ihre Liste zu wählen, sondern »Ja« zur Unabhängigkeit zu sagen. Wer sie nicht wählt, stimmt entsprechend mit »Nein«. So sehen das auch die Parteien der rechten und sozialdemokratischen Opposition. Sowohl die rechtskonservative Volkspartei (PP) des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy als auch die rechte Protestpartei Ciutadans (Bürger) und die sozialdemokratische PSC konzentrieren ihren Wahlkampf auf Warnungen vor den katastrophalen Folgen einer Abspaltung.

Zwischen diesen beiden Polen wurden Pablo Iglesias und seine Bündnispartner zerrieben. Lange drückte sich »Catalunya Sí que es Pot« um eine Antwort darauf, ob man nun für oder gegen die Unabhängigkeit sei. Das sei momentan nicht das Thema, wiederholten die Spitzenvertreter des Bündnisses immer wieder. Viel wichtiger sei ein Kurswechsel in der Sozialpolitik, ein Ende des Neoliberalismus. Der Grund für dieses Ausweichen beim zentralen Wahlkampfthema war: Eine klare Antwort auf die nationale Frage hätte die Allianz sprengen können. Die katalanischen Kommunisten sind schon vor Jahrzehnten für die »Selbstbestimmung« ihrer Nation auf die Straße gegangen, während sich viele Podemos-Mitglieder eher an Madrid orientieren. Einigen konnte man sich nur darauf, dass die Katalanen das Recht hätten, selbst über diese Frage zu entscheiden.

Doch Iglesias hat offenbar nicht verstanden, wie stark das katalanische Selbstbewusstsein auch unter Linken verankert ist. Bei einem Wahlkampfauftritt in Rubí wandte er sich am 9. September an die Nachfahren von Einwanderern, »die sich nicht dafür schämen, andalusische Großeltern zu haben«. Diese sollten nicht zulassen, dass sie »in Katalonien unsichtbar werden«.

Die Antwort war eine Welle der Empörung. Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung und besonders ihr starker linker Flügel haben immer betont, dass Bürger ihres Landes jeder sein werde, der dort wohnt. Schon bei der letztlich von Madrid verhinderten Volksabstimmung im vergangenen Jahr sollten alle Einwohner Kataloniens teilnehmen dürfen, die dauerhaft dort leben – unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Carme Forcadell, die als Vorsitzende der Bürgerbewegung »Katalanische Nationalversammlung« in den vergangenen Jahren die Großdemonstrationen für die Unabhängigkeit organisiert hatte und nun für »Junts pel Sí« kandidiert, betonte am Mittwoch in Sabadell: »Die 700.000 Andalusier, die in Katalonien leben, sind Katalanen.«

Auch wenn sich Iglesias nach wenigen Tagen für seinen Ausrutscher entschuldigte, dürfte er Stimmen verloren haben. Denn zu seiner Liste gibt es eine Alternative. Die linksradikale »Kandidatur der Volkseinheit« (CUP) tritt mit einem Programm an, das in sozialen Fragen viele Überschneidungen mit »Catalunya Sí que es Pot« aufweist. Der Hauptunterschied ist, dass die CUP dezidiert für die Unabhängigkeit eintritt, denn diese sei die Voraussetzung für den Aufbau einer sozialistischen Republik. Nach den letzten Umfragen könnte die CUP am Sonntag zum Zünglein an der Waage werden. Dann wäre Artur Mas auf die Unterstützung der Linken angewiesen, die dafür ein Ende von Sozialabbau und Neoliberalismus zur Bedingung gemacht haben.

Erschienen am 26. September 2015 in der Tageszeitung junge Welt