Die Waffen schweigen noch

Die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) kehren vorerst nicht zum bewaffneten Kampf zurück. Das kündigte der oberste Comandante der Guerilla, Timoleón Jiménez, am Montag (Ortszeit) in Havanna an, nachdem bei einem Referendum am Sonntag in Kolumbien eine knappe Mehrheit gegen das zwischen den Aufständischen und der Regierung ausgehandelte Friedensabkommen votiert hatte. Das Referendum habe nur einen »politischen Effekt«, aber keine rechtliche Bedeutung, so Jiménez. Der am 26. September in Cartagena unterzeichnete Vertrag sei als Spezialabkommen im Rahmen der Genfer Konventionen beim Schweizer Bundesrat in Bern hinterlegt worden. »Das verleiht ihm nicht zu leugnende und unwiderrufbare juristische Wirksamkeit«, so der Comandante. Die Einheiten der FARC würden deshalb den mit der Regierung vereinbarten »endgültigen Waffenstillstand« weiterhin einhalten. Die Guerilla rief die sozialen Bewegungen des Landes auf, gegen den Krieg aktiv zu werden. »Der Frieden in Kolumbien ist ein verfassungsmäßiges Recht, das Vorrang haben muss gegenüber dem Hass und der Gewalt«, heißt es in der Stellungnahme der FARC.

In Kolumbiens Hauptstadt Bogotá gingen am Dienstag Hunderte Studenten auf die Straße, um ihre Unterstützung für das Friedensabkommen zu bekräftigen. Wie die Wochenzeitschrift Semana in ihrer Onlineausgabe berichtete, verlangten sie eine schnelle Beendigung der durch den Ausgang des Referendums entstandenen Unsicherheit. Die Kolumbianische Kommunistische Partei rief auf ihrer Homepage dazu auf, den Vertrag zwischen den FARC und der Regierung zu verteidigen. Das »Patt« beim Referendum stelle keine Legitimation für die extreme Rechte dar. »Diejenigen, die mit Hass, Betrug und Lügen einen Pyrrhussieg errungen haben, haben das Land zu einem Sprung ins Nichts gezwungen«, warnen die Kommunisten. Universitätsprofessor Victor de Currea schlug als Ausweg vor, den Friedensprozess auf die zweitgrößte Guerillaorganisation ELN (Nationale Befreiungsarmee) auszuweiten, um so einen »nationalen Dialog« zu erreichen. »Die Frage ist, ob wir einen Pakt wollen, um die Regierung Santos zu legitimieren – oder um den Frieden zu retten«, zitierte die linke Nachrichtenagentur Anncol den Akademiker. Die Menschenrechtsaktivistin und frühere Senatorin Piedad Córdoba schlug im Gespräch mit Telesur die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung vor.

Staatschef Juan Manuel Santos geht dagegen auf seine Widersacher zu. Er habe mehrere Mitglieder seines Kabinetts damit beauftragt, Gespräche mit Vertretern des »Demokratischen Zentrums« (CD) zu führen. Die Partei von Expräsident Álvaro Uribe hatte als führende Kraft für ein Nein beim Referendum geworben. Santos hofft, mit seinen gestärkten Gegnern einen Kompromiss schließen zu können, um den Krieg mit den FARC zu beenden. »Die Unsicherheit und die fehlende Klarheit darüber, was nun kommt, bringt alles in Gefahr, was bisher aufgebaut wurde«, warnte der Staatschef am Montag in einer Ansprache.

Wie ein Kompromiss zwischen Santos und Uribe aussehen könnte, ist jedoch offen. Das CD lehnt etwa die im Vertrag vereinbarte Sonderjustiz ab. Dabei geht es den Rechten allerdings weniger darum, dass die maximale Haftstrafe für Kriegsverbrechen auf acht Jahre festgesetzt wurde. Uribe dürfte vielmehr selbst die Aufarbeitung des jahrzehntelangen Konflikts fürchten, denn die Richter sollen mit Unterstützung internationaler Juristen die Taten aller beteiligten Parteien untersuchen. Der Expräsident gilt als Mann der Paramilitärs. In seine Amtszeit fällt unter anderem der Skandal um die »Falsos Positivos«: Soldaten ermordeten unbeteiligte Zivilisten, um sie anschließend als »im Kampf getötete Guerilleros« zu präsentieren. Offizielle Untersuchungen gehen von bis zu 3.000 Opfern aus.

Erschienen am 5. Oktober 2016 in der Tageszeitung junge Welt