Olga Lewtschenko

»Die Volksrepubliken sind ein Aufschrei der Seele«

Olga LewtschenkoGespräch mit Olga Lewtschenko, Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Ukraine (KPU) und Abgeordnete der Obersten Rada

Die gegenwärtige ukrainische Regierung fordert ein Verbot Ihrer Partei, im Parlament gab es Übergriffe. Wie ist die Lage für Sie?

Es werden gegenwärtig mitten im Parlament Überfälle auf Abgeordnete der Kommunistischen Partei verübt. Parlamentspräsident Turtschinow hat offen dazu aufgerufen, die KPU-Fraktion auseinanderzujagen. In seiner Zeit als »Übergangspräsident« der Ukraine hat er die Staatssicherheit, die Staatsanwaltschaft und das Justizministerium angewiesen, Beweismaterial für ein Verbot der Kommunistischen Partei zu sammeln. In einem offiziellen Brief, der auf der Internetseite des Präsidenten zu lesen war, erhob er Vorwürfe gegen die KPU. Als unsere Abgeordneten ihn nach Beweisen gefragt haben, stellte sich heraus, daß er keine vorlegen konnte. Als der Vorsitzende der KPU, Simonenko, ans Rednerpult trat, um die Wahrheit über die Ereignisse im Osten unseres Landes zu berichten, wurde ihm das Mikrofon abgeschaltet, und die radikalen Abgeordneten der Swoboda-Partei begannen eine Schlägerei. So etwas spielt sich derzeit in diesem Parlament ab.

 

Wie reagiert Ihre Partei darauf?

Wir haben uns an die Justiz gewandt, aber Sicherheitskräfte, Polizei und Staatsanwaltschaft arbeiten nach den Vorgaben der neuen Machthaber. Wir versuchen auch, unsere Sichtweise in den Medien darzustellen. Diese sind uns aber weitgehend verschlossen.

Der Hauptvorwurf, den das neue Regime gegen die KPU erhebt, ist der, sie würde den »Separatismus« unterstützen …

Es gibt keinen einzigen Beleg dafür, daß die Kommunistische Partei Separatismus betreiben würde. In unserem Programm steht schon lange, daß wir für eine einheitliche Ukraine sind. Wir treten nicht für eine Abtrennung der Gebiete im Osten ein, sondern für die Interessen der Menschen dort und dafür, daß ihre Probleme beachtet werden.

Die Ausrufung der Volksrepubliken in Lugansk und Donezk unterstützen Sie also nicht?

Die Ausrufung der Volksrepubliken durch diese Menschen war ein Aufschrei ihrer Seelen. Wir treten daher für Gespräche zwischen den neuen Machthabern in Kiew und den Führungspersönlichkeiten dieser Bewegung im Osten ein. Wir sind generell gegen den Einsatz von Waffen, denn darunter leiden immer in erster Linie die einfachen Menschen.

Wie arbeitet Ihre Partei zur Zeit in Lugansk und Donezk?

Wir sind in diesen beiden Städten sehr aktiv und unterstützen die friedliche Bevölkerung. In den vergangenen Monaten konnte unsere Partei sehr viele neue Mitglieder gewinnen.

Es gibt die Forderung, russische »Friedenstruppen« in das Gebiet zu schicken. Wie steht die KPU dazu?

Unsere Position dazu ist, daß die Probleme der Ukrainer nur durch die Ukrainer selbst gelöst werden können – ohne die NATO und ohne Rußland. Die Ereignisse auf dem Maidan waren ursprünglich Ausdruck der Unzufriedenheit der Menschen mit der damaligen Regierung. Dann gingen die Proteste jedoch zur Besetzung und Zerstörung von Gebäuden über – und schließlich zur Bildung militanter Organisationen wie dem Rechten Sektor. Der Osten der Ukraine ist das genaue Gegenstück zu den Ereignissen in Kiew. Im Osten sagten die Menschen: ›wir wollen hier keine solchen faschistischen Gruppen. Laßt uns leben, wie wir wollen, mit unserer Tradition und unserer Sprache.‹ Das reichte aus, um sie als Separatisten zu bezeichnen. Die Leute auf dem Maidan gelten dagegen als »friedliche Demonstranten«, obwohl unter ihnen auch viele Touristen aus dem Westen waren. Inzwischen ist bewiesen, daß die Bewegung auf dem Maidan von Westeuropa und den USA finanziert worden ist. Beide haben sich abgesprochen, wer dort welche Funktion zu übernehmen hat, und die Ukrainer haben das hinzunehmen. Poroschenko ist jetzt Präsident, Jazenjuk ist Ministerpräsident und Klitschko ist Oberbürgermeister von Kiew.

Es gab in den vergangenen Monaten auch die Abspaltung der Krim. Ist die Halbinsel für die KPU nun russisch, oder betrachten Sie sie weiter als Teil der Ukraine?

Als Patrioten sind wir natürlich traurig darüber, daß die Krim kein Teil unseres Landes mehr ist. Die Ereignisse auf der Krim waren ebenfalls ein Protest gegen die Ereignisse in Kiew. Als man in Kiew auf dem Maidan die Losung der Bandera-Leute geschrien hat, »Ruhm der Ukraine, den Helden Ruhm«, hat sich die Bevölkerung der Krim dagegen aufgelehnt.

Erschienen am 7. Juli 2014 in der Tageszeitung junge Welt