Die Schinkenfrage

Kann Schinken eine Regierung stürzen? Nachdem es in Venezuela in den vergangenen Tagen zu spontanen Protesten gegen die Mangelversorgung gekommen war, orakelte die argentinische Tageszeitung La Nación bereits von einer bevorstehenden »Schinkenrevolution«, und auch die rechte Opposition wittert bereits eine neue Chance, nachdem sie geschwächt und zersplittert aus den Auseinandersetzungen der vergangenen Monate hervorgegangen ist.

Tatsächlich ist es natürlich nicht der erzwungene Verzicht auf Schweinebraten, der Präsident Nicolás Maduro gefährlich werden könnte. Viel schlimmer ist die erbärmliche Art und Weise, mit der er bislang auf dieses Problem reagiert hat. In den vergangenen Wochen hatte seine Regierung vollmundig versprochen, dass jede Familie zu Weihnachten Schinken zu subventionierten Preisen erhalten würde. Man wollte sich dabei auf das inzwischen weitgehend funktionierende System der CLAP stützen. Diese »Lokalen Komitees für Lebensmittelversorgung und Produktion« beliefern die Haushalte regelmäßig mit Waren des Grundbedarfs zu staatlich festgelegten, günstigen Preisen. Damit wurde einem Teil der Spekulation und der als Wirtschaftssabotage betriebenen Warenverknappung die Grundlage entzogen. Doch nach wie vor sorgen Hyperinflation und Misswirtschaft für massive Probleme bei der Versorgung der Bevölkerung.

Viele Menschen hatten darauf gehofft, dass die im Sommer gewählte Verfassunggebende Versammlung mit ihren über allen Staatsgewalten stehenden Machtbefugnissen durchgreifen würde. Das ist bislang nicht geschehen. Und die Regierung vertröstet nach wie vor auf bessere Zeiten. Nun soll 2018 das Jahr der »großen Siege« werden. Doch was ist von solchen Prognosen zu halten, wenn die Administration nicht einmal in der Lage ist, den versprochenen Schinken zu liefern? Und wenn der Präsident nur hilflos Sabotage durch Portugal anprangert – obwohl der eigentliche Hintergrund offenbar war, dass das mit der Lieferung beauftragte portugiesische Unternehmen angesichts von unbezahlten Rechnungen in Millionenhöhe auf Vorkasse bestanden hat.

Venezuelas Bolivarische Revolution ist in Gefahr. Nicht durch fehlenden Schinken, aber auch nicht in erster Linie aufgrund der Machenschaften des US-Imperialismus und der reaktionären Opposition, auch wenn diese natürlich das ihre beitragen. Maduro selbst hat im vergangenen September festgestellt, dass der gefährlichste Feind »Bürokratie, Korruption, Nachlässigkeit und die Banditen, die öffentliche Ämter bekleiden und das Volk ausrauben« seien. Gegen diese müsse erbarmungslos gekämpft werden. Es wird Zeit.

Erschienen am 30. Dezember 2017 in der Tageszeitung junge Welt