Die Revolution verteidigt die Mehrheit

Die revolutionären Parteien Venezuelas behalten die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung. Bei den Parlamentswahlen vom vergangenen Sonntag erreichte die Allianz aus Vereinter Sozialistischer Partei (PSUV) und Kommunistischer Partei Venezuelas (PCV) 98 Sitze in der 165 Abgeordnete umfassenden Legislative, einer von ihnen gehört der Kommunistischen Partei an. Außerdem entsendet die Partei mit dem roten Hahn fünf Ersatzabgeordnete in die Nationalversammlung. Das Oppositionsbündnis „Tisch der demokratischen Einheit“ musste sich mit 64 Abgeordneten zufrieden geben. Trotzdem bejubelten die Regierungsgegner dieses Ergebnis, als wenn sie die Wahlen gewonnen hätten. Doch tatsächlich erreichte dieser äußerst heterogene Zusammenschluss aus rechtsextremen Gewalttätern, neoliberalen „Reformern“, konterrevolutionären Sozialdemokraten und ähnlichen Figuren nur sein Minimalziel: die Linken haben nun keine Zwei-Drittel-Mehrheit mehr.

Vor fünf Jahren hatte die Opposition die Wahlen boykottiert und gehofft, dadurch Venezuela destabilisieren zu können. Die einzige Folge dieses Manövers war jedoch, dass seither die linke Mehrheit im Parlament überwältigend war. Nur durch das Ausscheren von Kräften, die ursprünglich zum Chávez-Lager gehört hatten, entstand doch noch eine kleine Opposition in der Kammer. 2007 war beispielsweise die sozialdemokratische PODEMOS zur rechten Opposition übergelaufen, Anfang 2010 scherte die Partei Heimatland für alle (PPT) nach langen Querelen endgültig aus der Regierungskoalition aus. Doch die entscheidenden Probleme schuf sich das Lager der Revolutionäre selbst. Zahlreiche Vertreter der PSUV bewiesen in den Sitzungen, dass ihre Vorstellungen von einem „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ kaum über klassisch sozialdemokratische Vorstellungen hinausgehen. „Sozialismus“ bedeutet für diese Leute, die in der von Hugo Chávez gegründeten und geführten PSUV teilweise einflussreiche Posten innehaben, nicht viel mehr als den Armen zu helfen, ihnen Geld zu geben. Zu dieser Verwirrung trägt gelegentlich auch Präsident Chávez selbst bei, wenn er Venezuela bereits heute als „sozialistisch“ bezeichnet.

Doch schlimmer noch als die Begriffsverwirrung waren die Störmanöver, die von dieser Strömung innerhalb der Regierungspartei ausging. Immer wieder wurden fortschrittliche Gesetzesinitiativen durch bürokratische Manöver ausgebremst. So wird das von den Kommunisten eingebrachte neue Arbeitsgesetz seit Jahren zwischen den parlamentarischen Gremien hin- und hergeschoben und immer wieder von der Tagesordnung abgesetzt. Offenbar passt einflussreichen Kräften im Parlament die klar antikapitalistische Stoßrichtung dieses Gesetzes nicht. Künftig können diese Rechten in der Linken bequem auf die rechte Opposition verweisen, die eine Verabschiedung wichtiger Gesetze leider verhindere, da dieses als sogenanntes Organgesetz eine Zweidrittelmehrheit benötigt. Deshalb forderten die Kommunisten auch am Tag nach der Wahl, die verbleibenden knapp drei Monate bis zur Konstituierung der neu gewählten Nationalversammlung auszunutzen, um das Arbeitsgesetz und andere wichtige Projekte noch mit den bisherigen Mehrheitsverhältnissen zum Abschluss zu bringen: „Das Arbeitsgesetz ist für die Arbeiterklasse jetzt eine dringende Angelegenheit. Seine Ausarbeitung ist abgeschlossen, es fehlt der politische Wille“, schrieb die Redaktion der PCV-Zeitung „Tribuna Popular“ deshalb über das Internet-Netzwerk Twitter. Der bürokratische und ineffiziente Stil der bisherigen Parlamentsarbeit dürfte auch ein wichtiger Grund dafür gewesen sein, dass die Koalition aus PSUV und PCV insgesamt nur wenige Tausend Stimmen vor dem Oppositionsbündnis liegt – und wenn wir die PPT, die sich im Wahlkampf als „dritte Kraft“ präsentierte, ebenfalls den Regierungsgegnern zuschlagen, ist die linke Mehrheit verloren. Doch dank des venezolanischen Wahlrechts und des Zuschnitts der Wahlbezirke verfügen die Linken auch in den nächsten fünf Jahren über eine komfortable Mehrheit, müssen künftig jedoch bei der Besetzung des Obersten Gerichtshofs und anderer entscheidender Behörden auf die Opposition Rücksicht nehmen, denn hier ist bei der Wahl eine Zweidrittelmehrheit vorgesehen.

In einer am Montag verbreiteten Pressemitteilung kommentieren Venezuelas Kommunisten deshalb: „Unsere Partei ist sich bewusst, dass ohne eine Zweidrittelmehrheit unter der Kontrolle der revolutionären Kräfte in der Nationalversammlung die Rechte versuchen wird, jede Initiative zur Machtübertragung an das organisierte Volk zu behindern. Sie wird die Entwicklung der Volksmacht verhindern und mit der Verteidigung der ökonomischen und politischen Interessen der Bourgeoisie fortfahren, wie sie dies zu vielen Gelegenheiten klar angekündigt hat.“ Es sei nun notwendig, die Reihen zu schließen und zu einer umfassenden Einheit der Revolutionäre zu kommen, um die neuen Herausforderungen des Befreiungskampfes meistern zu können, so die Kommunistische Partei Venezuelas.

Erschienen am 1. Oktober 2010 in der Wochenzeitung UZ – Unsere Zeit