»Die Angriffe auf Venezuela verschärfen sich«

Gespräch mit Oscar Figuera, Generalsekretär der Kommunistischen Partei Venezuelas

Die Kommunistische Partei Venezuelas (KPV) hat bei der Präsidentschaftswahl am vergangenen Sonntag die Zahl ihrer Stimmen um 37 Prozent erhöhen können und ist mit fast einer halben Million Wählern inzwischen die zweitstärkste Kraft der venezolanischen Linken – natürlich mit großem Abstand zu Chávez’ Vereinter Sozialistischer Partei PSUV. Welche Bedeutung hat diese Entwicklung für Ihre Partei?

Zuallererst zeigt dieses Ergebnis, daß die Politik der KPV korrekt ist, eine antiimperialistische Allianz aufzubauen, in der alle Schichten zusammenwirken, die sich gegen die ausländische Einflußnahme stellen und für nationale Selbstbestimmung und Sozialismus eintreten. Das Votum zeigt einerseits eine Stärkung der Partei selbst, zum anderen aber auch die wachsende Bedeutung des revolutionären Blocks der Volkskräfte. Durch dieses Ergebnis wird die KPV sehr viel stärker in die Lage versetzt, ihre Rolle in diesem Prozeß als revolutionäre Option der Arbeiterklasse zu erfüllen.

Wie stellt sich, auch unabhängig von den Wahlen, die allgemeine Lage des revolutionären Prozesses in Venezuela dar?

Er wird dynamischer, weil sich der Angriff unseres Hauptfeindes verschärft. Für Venezuela können wir feststellen, daß der derzeitige Hauptwiderspruch der zwischen der Nation und dem Imperialismus ist. Die nationale Bourgeoisie ist mit ihm verbündet und ordnet sich ihm unter. Deshalb streben wir an, daß sich in unserem Land alle zusammenschließen, die aus irgendwelchen Gründen gegen die ausländische Einflußnahme sind.

Diese antiimperialistische Allianz besteht aus politischen Kräften der verschiedenen sozialen Schichten, mit denen wir in anderen Fragen durchaus Differenzen haben. Dazu gehören neben der Arbeiterklasse, Angehörigen der Mittelschicht, Kleinbürgern und Menschen aus dem Lumpenproletariat auch Teile der nationalen Bourgeoisie, die keine Verbindungen zum ausländischen Kapital haben. Doch die Tatsache, daß dieser Teil des Kapitalismus nicht mit dem Imperialismus verbündet ist, nimmt ihm nicht seinen ausbeuterischen Charakter.

Uns ist bewußt, daß es zwischen uns und ihnen Konflikte gibt. Deshalb sind wir dazu verpflichtet, im Rahmen dieser antiimperialistischen Allianz die Volkskräfte zu stärken, die sich mit dem Ziel einer sozialistischen Gesellschaft identifizieren. Wobei ich darunter den wissenschaftlichen Sozialismus verstehe. Um dieses Ziel zu erreichen, ist die Rolle der Arbeiterklasse fundamental. Ohne eine organisierte, aktiv handelnde Arbeiterklasse kann es keinen Sozialismus geben, egal wie oft wir dieses Wort gebrauchen.

Welche Rolle spielen Präsident Hugo Chávez und die Regierung in dieser Auseinandersetzung?

Die Lage unterscheidet sich von der in anderen Ländern dadurch, daß wir hier eine fortschrittliche, patriotische Regierung haben. Doch bislang wird der Prozeß hier von der Kleinbourgeoisie angeführt. Chávez ist zwar fortschrittlich, doch es gibt Schichten, die anderes verfolgen und die den Führungsapparat des Prozesses hegemonisieren. Es reicht aber nicht, sich darüber zu beschweren, sondern es muß eine andere Kraft geben, die sich dagegen stellt und die Revolution vorantreibt.

In der Allianz bemühen wir uns darum, Verbündete zu gewinnen, denn wenn sich der revolutionäre Prozeß vertieft, wird es aufgrund der unterschiedlichen Klasseninteressen zu Spaltungen kommen. Unsere Rolle in dieser Allianz ist deshalb vorwärtstreibend, konstruktiv, aber auch kritisch. Deshalb war es auch wichtig, daß wir dem Druck widerstanden haben, unsere Partei aufzulösen, um uns einer pluralistischen Partei ohne Klassencharakter anzuschließen.

In Venezuela spielt das Militär eine besondere Rolle, auch deswegen, weil Chávez aus dessen Reihen kommt. Welches Verhältnis hat Ihre Partei zu den Streitkräften?

In unserem Land heißt es oft, daß die Streitkräfte eine nationale Armee sind, die hinter dem Prozeß steht. Wir wissen jedoch, daß sich der Klassenkampf auch in den Reihen des Militärs vollzieht, und je nachdem, wie dieser Klassenkampf entschieden wird, entscheidet sich auch die Ausrichtung des Militärs. Die Besonderheit in unserem Land ist, daß die Armee sich zu einem Großteil aus Angehörigen der nicht privilegierten Schichten zusammensetzt. Es gibt zwar eine elitäre Spitze, aber der Mittelbau der Armee ist hauptsächlich aus Menschen der einfachen Bevölkerungsschichten aufgebaut. Sie verstehen sich als Armee der Befreier, nicht der Unterdrücker.

Erschienen am 12. Oktober 2012 in der Tageszeitung junge Welt