Der Sucre kommt

Als Venezuelas Präsident Hugo Chávez kurz vor dem Washingtoner G-20-Gipfeltreffen vor rund zwei Wochen zu einem eigenen Gipfeltreffen der Mitgliedsstaaten der Bolivarischen Alternative für die Völker Unseres Amerika (ALBA) einlud, hatte er angekündigt, daß dieses Treffen tatsächliche Ergebnisse bringen müsse. Am Mittwoch kamen nun in Caracas die Präsidenten von Boli­vien, Ecuador, Honduras und Nicaragua sowie hochrangige Regierungsvertreter aus Kuba und Dominica zusammen – und wie es aussieht, hat Chávez nicht zu viel versprochen.

Die Staatschefs vereinbarten, eine gemeinsame Währung und einen Finanzausgleich zwischen ihren Ländern zu schaffen. Begleitet werden diese Initiativen durch einen von den Mitgliedsstaaten gespeisten Fonds, aus dem Investitionen für die Entwicklung der Regionen finanziert werden sollen. Die Details dieser ambitionierten Vorhaben sollen bei einem weiteren Gipfeltreffen am 14. Dezember festgelegt werden. Klar ist bereits der Name der neuen Währung: Sucre. Das ist nicht nur der Name eines süd­amerikanischen Freiheitskämpfers, der gemeinsam mit Simón Bolívar für die Befreiung seiner Heimat von der spanischen Kolonialherrschaft kämpfte, sondern auch der Name der früheren Währung Ecuadors, die im September 2000 zugunsten des US-Dollars abgeschafft wurde. Offi­ziell ist es hingegen die Abkürzung für »Einheitliches System für Regionale Kompensation«.

»Wir werden nicht mit verschränkten Armen darauf warten, daß diese Leutchen vom IWF und der Weltbank unsere Probleme lösen«, betonte Chávez.

Ecuadors Präsident Rafael Correa, der offiziell lediglich als Beobachter an dem Gipfel teilnahm, erläuterte, daß die neue Währung vor allem den Handelsbeziehungen dienen solle, um sich endlich vom US-Dollar unabhängig machen zu können. Deshalb werde die gemeinsame Währung möglicherweise zunächst als virtuelle Rechnungseinheit eingeführt. Zur Lösung der weltweiten Krise sei es notwendig, politische Entscheidungen zu treffen, betonte Correa.

Für den kubanischen Vizepräsidenten Ricardo Cabrisas läßt sich die gegenwärtige Krise hingegen nicht mit früheren Konjunkturschwankungen vergleichen, da sie nicht auf ein Gebiet beschränkt bleibe, sondern auch Krisen im Bereich der Energie, der Lebensmittelversorgung, der Umweltzerstörung und in den sozialen Bereichen umfasse. Die Rettungspakete der USA und Europas richte sich vor allem an die Spekulanten und Großbanken, kritisierte Cabrisas. Sie seien jetzt in der Lage, drei Billionen Dollar in eine zusammengebrochene Struktur zu pumpen, während sie jahrzehntelang nicht fähig waren, ihre Verpflichtung zu erfüllen, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts als Entwicklungshilfe auszugeben. Auch 30 Milliarden Dollar für die Entwicklung der Landwirtschaft in der Dritten Welt oder 20 Milliarden für alle Menschen erreichende Bildungsprogramme waren den mächtigen Ländern zuviel. Daraus leite sich die Bedeutung von ALBA als einer auf Solidarität, Zusammenarbeit und gegenseitigen Vorteilen basierenden Gemeinschaft, betonte der Vertreter Raúl Castros.

Die Völker der Welt müßten erkennen, daß das kapitalistische System der Hauptfeind der Menschheit ist, forderte auch Boliviens Präsident Evo Morales.

Ebenfalls am Mittwoch stattete der russische Präsident Dmitri Medwedew Venezuela einen offiziellen Besuch ab. Er nahm zwar nicht am ALBA-Gipfel teil, zeigte sich aber während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem venezolanischen Amtskollegen bereit, sich »als assoziiertes Mitglied oder in anderer Weise« ALBA anzuschließen.

Erschienen am 28. November 2008 in der Tageszeitung junge Welt