Der Schwarze Kanal: Terroristenfreunde

Die in grauer Vorzeit einmal als »alternativ« oder gar »links« geltende tageszeitung (taz) hat ihre früheren Sympathien für den bewaffneten Kampf wiederentdeckt. Aktivisten, die wegen Morden, Bombenanschlägen und der Entführung von öffentlichen Verkehrsmitteln inhaftiert sind, sollen endlich freigelassen werden, fordert das Blatt nicht nur auf nahezu der gesamten Titelseite vom vergangenen Donnerstag, sondern gleich auch noch auf der Seite 3. Allerdings ist damit nicht etwa Deutschland gemeint – es geht um Kuba. Unter der Überschrift »Máximo Dealer« wirft das Leib- und Magenblatt olivgrüner Jugoslawien-Krieger der kubanischen Regierung vor, »politische Häftlinge« zu verkaufen.

»Alle politischen Gefangenen sollen freikommen«, zitiert taz-Autor Toni Keppeler den spanischen Außenminister Miguel Ángel Moratinos, und fügt an: »Eine Zahl nannte Moratinos nicht«. Offensichtlich befürchtet Keppeler, daß die von ihm namentlich genannten Bombenleger Otto Rodríguez und Raúl Ernesto Cruz León, bei deren Anschlägen 1997 ein italienischer Tourist getötet wurde, von der Freilassung ausgenommen werden. Darum kritisiert er auch gleich noch Amnesty International, deren Angaben zufolge nach der angekündigten Freilassung von 52 Gefangenen »gerade noch einer übrig« bliebe. Das sei aber zweifelhaft, denn: »Wer selbst Gewalt angewandt oder zur Gewaltanwendung aufgerufen hat, gilt nicht als politischer Gefangener.« Da sind ihm die Angaben der in den USA sitzenden Organisation »Human Rights Watch« viel sympathischer, die von »deutlich mehr als 115« Gefangenen ausgeht: »Werden alle diese ›Gefährder‹ nun auch befreit? Es dürfte eine Weile geschachert werden.«

Die taz gilt schon länger als »Kinder-FAZ«, und wie berechtigt dieses Etikett ist, zeigte sich auch am Donnerstag. Obwohl es keinen tagesaktuellen Anlaß gab – jW hatte die Fakten beispielsweise schon Tage vorher vermeldet –, widmete nicht nur die taz ihre Titelseite den kubanischen Gefangenen, sondern auch die Frankfurter Allgemeine. Nicht nur die Überschriften ähneln sich, die FAZ titelte »Die Menschenhändler von Havanna«, sondern auch der Inhalt. Frei von jedem Faktenwissen schwadroniert hier Leo Wieland darüber, daß »Fidel Castro bestimmt, wer wie viele Hühner haben darf« und kommt sogar auf »noch etwa 150 Andersdenkende in Kubas Kerkern«. Der Leitartikler erinnert an die »Serie von Scheußlichkeiten – Hinrichtungen, Verhaftungen, Terrorurteile« im Jahr 1996 und demonstriert damit im Vorbeimarsch seine Vorliebe für militanten Widerstand, wenn er sich denn nur gegen links richtet.

Die »Scheußlichkeiten«, die Wieland hier anspricht, waren die Prozesse gegen eine Gruppe von Terroristen, die im Jahr 2003 kubanische Flugzeuge und Schiffe entführten, Geiseln nahmen und Menschen ermordeten, darunter ein zehnjähriges Kind, dem die Verbrecher in den Kopf schossen. Insgesamt wurden den kubanischen Behörden zufolge damals 29 Entführungen verübt oder konnten rechtzeitig verhindert werden. Die US-Küstenwache weigerte sich wiederholt, gegen die Kidnapper auf den Schiffen vorzugehen, die auf die Küste von Florida zusteuerten, meldete damals sogar die britische BBC. Während den Entführern, die US-Festland erreichten, problemlos »politisches Asyl« gewährt wurde, versuchten die US-Behörden, die gegen ihren Willen verschleppten Passagiere dazu zu überreden, doch die Chance zu nutzen und in den Vereinigten Staaten zu bleiben.

Die Todesstrafe ist scheußlich. Wenn aber Leo Wieland auf die Hinrichtungen verweist, ohne über die Hintergründe zu informieren, ist das kein Versehen. Für Tazfaz ist offenbar alles in Ordnung, wenn es nur gegen die kubanische Führung geht. Ganz anders verhält es sich bei anderen echten oder angeblichen Terroristen. So konnte der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), im März in der FAZ lang und breit seine »grundsätzlichen Bedenken« gegen die Aufnahme von Häftlingen aus dem US-Ge­fangenenlager Guantánamo dar­legen. Und schon im Februar kommentierte Reinhard Müller im gleichen Blatt: »Es ist nicht damit getan, nun (hoffentlich ungefährliche) Guantánamo-Häftlinge aufzunehmen, wie es im Europäischen Parlament jetzt gefordert wird. Gerade angesichts der hierzulande wachsenden Gefahr, die von verblendeten Konvertiten ausgeht, muß die Frage nach wirksamer Prävention gestellt werden.« Es sei denn, es geht gegen Kuba.

Erschienen am 24. Juli 2010 in der Tageszeitung junge Welt