Der Putsch-Sender von Caracas

In der Nacht vom Pfingstsonntag auf Montag ist in Venezuela eine neue medienpolitische Ära angebrochen. Der erste öffentlich organisierte Fernsehsender, TVes, nahm seinen Sendebetrieb auf, begleitet von wütenden Protesten der rechten Opposition, die gewaltsam versuchte, die zuständige Behörde Conatel zu stürmen. Es war nicht in erster Linie der neue Sender, der die Opposition so in Rage brachte, sondern die Tatsache, dass er auf dem Fernsehkanal seinen Betrieb aufnahm, auf dem bis dahin der Kommerzsender Radio Caracas TV (RCTV) gesendet hatte.

Dieser 1953 von dem US-amerikanischen Unternehmer William H. Phelps gegründete Sender gehört heute dem Medienmagnaten Marcel Granier, der über seine Unternehmensgruppe 1BC auch mehrere Radiosender, Schallplattenunternehmen und nicht zuletzt Werbeagenturen kontrolliert. Gemeinsam mit seinem Konkurrenten Venevisión kontrollierte RCTV bislang nahezu drei Viertel des Marktes für Fernsehwerbung in Venezuela, ein einträgliches Geschäft.

Das Programm von RCTV war in erster Linie eine Aneinanderreihung seichter "Telenovelas", Spielshows und Filme. Dazu kamen ein paar Nachrichtensendungen und Talkshows, in denen die Moderatoren keine Gelegenheit ausließen, um gegen die demokratisch gewählte Regierung zu hetzen – bis hin zu Aufrufen zur Ermordung des Präsidenten und anderer Repräsentanten der Regierung.

So war es am 11. April 2002 auch RCTV, das mit manipulierten Aufnahmen den Vorwand für den Putsch gegen Hugo Chávez lieferte: Anhänger der Regierung, die sich an der Llaguno-Brücke vor dem Präsidentenpalast versammelt hatten, waren von Heckenschützen beschossen worden. Einige Leute schossen daraufhin zurück. Von RCTV und anderen Medien wurde behauptet, die Chavistas hätten auf "unbewaffnete oppositionelle Demonstranten" geschossen – der Demonstrationszug der Opposition war aber weit entfernt.

Als nach dem Sturz des Präsidenten Millionen von Menschen auf die Straße gingen, um die Freilassung von Chávez und die Rückkehr zur Demokratie zu fordern, sendeten RCTV und andere Sender Zeichentrickfilme, Telenovelas und Sport – und brachten kein Wort über die Proteste. RCTV-Besitzer Marcel Granier hingegen war gern gesehener Gast der Putschisten und ging in den Stunden der Putschistenherrschaft im Präsidentenpalast Miraflores ein und aus.

Trotzdem geschah diesen Sendern nichts, als Chávez in der Nacht vom 13. auf den 14. April 2002 wieder in den Präsidentenpalast zurückgekehrt war. Der Präsident rief zur Versöhnung auf.

RCTV und andere Sender interpretierten dies als Zeichen der Schwäche und kehrten schnell zur Hetze zurück. Als die reaktionäre Opposition am 2. Dezember 2002 zu einem unbefristeten "Generalstreik" aufrief, um Chávez zu stürzen, stellten die Sender die Ausstrahlung kommerzieller Werbung ein und brachten nur noch Spots der Opposition. Der "Generalstreik" war nichts anderes als eine Massenaussperrung – Angestellten wurde mit Entlassung gedroht, wenn sie es wagen sollten, an ihrem Arbeitsplatz zu erscheinen – und eine groß angelegte Sabotage der Erdölindustrie, mit der die Regierung wirtschaftlich stranguliert werden sollte.

Auch dieser Versuch scheiterte und Marcel Granier, der durch den Verzicht auf kommerzielle Werbung bei RCTV Millionen von Dollar in den Sand gesetzt hatte, versuchte erfolglos, der Opposition deren Spots in Rechnung zu stellen.

Auch danach konnte RCTV jahrelang weitermachen als wäre nichts passiert. Bis Venezuelas Präsident Hugo Chávez am 28. Dezember ankündigte, die am 27. Mai 2007 auslaufende Lizenz des Senders nicht zu verlängern. Im Kabel und über Satellit kann Marcel Granier auch weiterhin die Venezolaner mit seinen Seifenopern beglücken, wenn er denn will.

Televisión Venezolana Social (TVes, Venezolanisches Soziales Fernsehen) ist hingegen ein neuer Schritt in der Geschichte der venezolanischen Fernsehlandschaft, denn bislang waren alle Sender von nationaler Reichweite entweder privat (RCTV, Venevisión, Globovisión, Televen) oder staatlich (VTV, Vive). TVes ist der erste Sender, der von unabhängigen Produzenten und den Bürgerinnen und Bürgern selbst betrieben wird – bei Autonomie von der Regierung. Getragen wird das neue Programm von der Venezolanischen Sozialen Fernsehstiftung, deren Gründung durch ein Dekret des Präsidenten erfolgte, in dem unter anderem festgestellt wird, dass es eine Verpflichtung des Staates ist, öffentliche Rundfunk- und Fernsehdienste zu garantieren, um somit der venezolanischen Bevölkerung einen umfassenden Zugang zur Information und zum Recht auf freie Meinungsäußerung zu bieten.

Der neue Kanal soll in erster Linie nicht eigenes Material produzieren, sondern Produktionen venezolanischer unabhängiger Produzenten, alternativer und lokaler Stationen sowie öffentlicher und privater Universitäten und öffentlich oder privat finanzierte Filmproduktionen ausstrahlen.

Wie die Vizeministerin für Kommunikationsstrategie des Informationsministeriums MinCI, Amelia Bustillos, der in Bogotá erscheinenden Tageszeitung "El Tiempo" sagte, wird der neue Kanal von der Stiftung ohne Einflussnahme durch die Regierung betrieben und ein Programm anbieten, das "den vaterländischen Werten, der Unterhaltung und der Kultur mit einem Konzept der sozialen Einbeziehung dienen wird".

In Deutschland und in der EU passt eine solche Entwicklung den Regierenden allerdings nicht in den Kram. So wurde im Europäischen Parlament ein Antrag beschlossen, in dem Venezuela an die "Respektierung der Meinungsfreiheit erinnert" wird – beschlossen mit den Stimmen von 43 der 784 Abgeordneten, weil insgesamt nur 65 Abgeordnete an der Sitzung teilgenommen hatten. Zu ihnen gehörte Sahra Wagenknecht, die sich in der Debatte zu Wort meldete. "Es geht nicht um die Freiheit der Medien, es geht darum, Venezuela anzuklagen", stellte sie fest. Die für die Linksfraktion im Straßburger Parlament sitzende Abgeordnete forderte statt einer Verurteilung des Landes eine Auseinandersetzung mit der Macht privater Medienmogule: "Statt sich arrogant in die Angelegenheiten venezolanischer Medienpolitik einzumischen, wäre es weit eher angebracht, sich an dem demokratischen und sozialen Anspruch der bolivarischen Revolution ein Beispiel zu nehmen."

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft zeigte sich gegenüber solchen Anregungen jedoch uneinsichtig. Nachdem RCTV seinen Betrieb über Antenne eingestellt hatte und TVes auf Sendung gegangen war, beklagte sich die Bundesregierung am Montag im Namen der EU darüber, dass die Frequenz nach dem Auslaufen der Lizenz nicht öffentlich ausgeschrieben worden sei.

Erschienen in der Wochenzeitung UZ – Unsere Zeit vom 1. Juni 2007