Der Papst ist schuld

Geht es nach der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ist in Venezuela in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten bestimmt schon ein Dutzend Mal die castro-kommunistisch-kubanische Diktatur eingeführt worden. Die arme, immer rein friedliche und ganz demokratische Opposition wurde erst von Hugo Chávez und nun von Nicolás Maduro aufs Übelste schikaniert. Der heilige Zorn entflammt deshalb die Schreiber der »Zeitung für Deutschland« zum publizistischen Kampf gegen die rote Gefahr aus dem Süden.

Ein schönes Beispiel für solchen Eifer bei der Bewahrung des Abendlandes ist Matthias Rüb. In der FAZ vom vergangenen Dienstag verkündete er von Buenos Aires aus, Maduro wolle »nur Wahlen ohne Opposition« und habe dafür den »Segen des Papstes«. Venezuelas Opposition sei im vergangenen Oktober kurz davor gewesen, auf den Präsidentenpalast Miraflores zu marschieren. Doch dann habe die Kirchenspitze die Bilderbuchdemokraten zu Verhandlungen mit der Regierung gezwungen. »Die Vermittlung des Vatikans (…) hat dem noch im Oktober schwer angeschlagenen Regime faktisch einen politischen Rettungsring zugeworfen«, beklagt sich Herr Rüb. Über die Alternative schweigt er sich aus: Putsch? Bürgerkrieg?

Venezuela stand im vergangenen Herbst vor der Entscheidung, ob die Differenzen politisch oder gewaltsam ausgetragen werden sollten. Es gab extreme Kräfte, die auf Gewalt setzten und darauf hofften, dass die Bilder von chaotischen Zuständen in Venezuela die von den USA kontrollierte Organisation Amerikanischer Staaten zu einer Intervention bewegen würden. Durchgesetzt haben sich in der Opposition diejenigen, die offenbar doch keinen Krieg riskieren wollten – zumal die venezolanischen Streitkräfte keine Anzeichen erkennen ließen, zu einem Staatsstreich bereit zu sein.

Herr Rüb trauert auch immer noch dem Amtsenthebungsreferendum hinterher, das die Regierungsgegner im letzten Jahr gegen Maduro durchsetzen wollten. »Die erforderliche Zahl von Unterschriften war bei der Nationalen Wahlbehörde fristgerecht eingereicht worden, um die Volksabstimmung noch im Jahr 2016 abzuhalten.« Und ein paar Zeilen weiter unten: »Derweil hat die gleichgeschaltete Wahlbehörde das Referendum wegen angeblicher Ungereimtheiten bei der Unterschriftensammlung faktisch verboten.«

Recherche versaut die beste Geschichte. Um in Venezuela ein Amtsenthebungsreferendum durchzusetzen, ist ein kompliziertes Verfahren nötig. In einem ersten Schritt brauchen die Initiatoren die Unterschriften von einem Prozent der Wahlberechtigten, um die Prozedur in Gang zu bringen. In einem zweiten Schritt sind dann 20 Prozent notwendig. Erst wenn diese erreicht sind, kommt es zur Abstimmung, bei der sich mehr Menschen für die Absetzung des Staatschefs aussprechen müssten, als diesen beim letzten Mal gewählt haben. Dass das gelingen würde, war – trotz aller Meinungsumfragen – eher unwahrscheinlich.

Den ersten Schritt hatte die Opposition bewältigt, die Sammlung für den zweiten Schritt sollte im Oktober stattfinden. Kurz zuvor aber beanstandeten Gerichte – nicht die Wahlbehörde – Unstimmigkeiten bei den in der ersten Phase gesammelten Unterschriften, etwa Verstorbene, die angeblich unterschrieben hatten. Die Richter verlangten, diese Manipulationen aufzuklären, bevor das Verfahren fortgesetzt würde. Deshalb wurde die Sammlung im Oktober gestoppt.

Man kann das gut finden oder schlecht, ein Zeichen für Diktatur, für eine funktionierende Judikative oder für eine Selbstverständlichkeit. Aber für Herrn Rüb sind das »eklatante Verstöße gegen demokratische Grundrechte«. Die es übrigens in der Bundesrepublik nicht einmal dem Buchstaben nach gibt.

Erschienen am 18. Februar 2017 in der Tageszeitung junge Welt