Demokratie in Gefahr

Der heutige Montag ist der erste Werktag in der am Freitag proklamierten Katalanischen Republik. Ab heute wird sich konkret zeigen, ob das von Tausenden begeistert gefeierte Ereignis mehr war als ein symbolischer Akt.

Die ersten Anzeichen am Wochenende deuten darauf hin, dass die Katalanen noch weit davon entfernt sind, sich von der Herrschaft der spanischen Monarchie befreit zu haben. So akzeptierte der Chef der Regionalpolizei Mossos d’Esquadra seine in Madrid verfügte Entlassung. Zwar widersetzt sich der katalanische Präsident Carles Puigdemont seiner Entmachtung, doch mehr als einen Aufruf zur »demokratischen Opposition« gegen die Zwangsverwaltung durch Madrid hat er nicht anzubieten. Sogar die Fahne der spanischen Monarchie wehte am Wochenende noch auf dem Dach des Palau de la Generalitat, des Sitzes der katalanischen Regierung.

Es ist also gut möglich, dass die Rechnung des spanischen Regierungschefs Mariano Rajoy aufgeht, der am Sonnabend das katalanische Parlament für aufgelöst erklärt und für den 21. Dezember Neuwahlen in der »Autonomen Gemeinschaft« einberufen hat. Finden diese statt, dann hat Madrid demonstriert, dass es die Kontrolle über das Gebiet an der Mittelmeerküste hat. Für die Parteien der Unabhängigkeitsbewegung wäre eine Teilnahme an der Wahl das Eingeständnis ihres Scheiterns. Andererseits könnte ein Boykott den reaktionären Parteien des prospanischen Lagers die »demokratisch legitimierte« Herrschaft über die Generalitat verschaffen, die sie sonst nie bekommen würden.

Ein Erfolg für Rajoy aber wäre eine Niederlage für die Demokratie. Er hat am Wochenende den gewählten Präsidenten Kataloniens gestürzt und durch seine eigene Stellvertreterin ersetzt, Soraya Sáenz de Santamaría. Die Regierungsgeschäfte der angeblich immer noch autonomen Region sollen durch die Minister seines Kabinetts geführt werden. Damit aber hat eine Partei die Macht in Katalonien ergriffen, die dort bei den letzten Wahlen nur 8,5 Prozent der Stimmen erhalten hat. Rajoys Volkspartei (PP), die 1976 unter dem Namen Volksallianz (AP) von ehemaligen Ministern der Franco-Diktatur gegründet worden war, will Katalonien ihre klerikal-­reaktionäre Ideologie aufzwingen. Dazu maßt sie sich an, die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehsender sowie die offizielle Nachrichtenagentur unter ihre Kontrolle zu stellen und den Unterricht an den Schulen auf ihre Linie zu bringen.

Von Sozialdemokraten und Liberalen haben Rajoy und Sáenz keinen Widerspruch zu befürchten. Sie hoffen darauf, im Windschatten des entfachten spanischen Nationalismus an die Macht in Katalonien zu kommen. Deshalb liefen auch die Repräsentanten von PSOE und Ciudadanos am Sonntag in einer Demonstration mit, an der Neofaschisten mit Flaggen des Franco-Regimes ungehindert teilnehmen konnten.

Erschienen am 30. Oktober 2017 in der Tageszeitung junge Welt