Chávez gewinnt die Mega-Wahl

Die größten und wahrscheinlich wichtigsten Wahlen in der Geschichte Venezuelas am 31. Juli haben einen klaren Sieger: den „Comandante“ Hugo Chávez und das Projekt einer „Bolivarianischen Revolution“ in dem südamerikanischen Land.

Mit fast 60 Prozent der Stimmen konnte Chávez bei der Präsidentschaftswahl seinen schärfsten Konkurrenten, den von den USA und der reichen Oberschicht unterstützten Francisco Arias Cárdenas, mit fast 20 Prozentpunkten Abstand klar abhängen. Außerdem gewann Chávez´ Partei „Bewegung der Fünften Republik“ (MVR) 14 der insgesamt 23 Regionalregierungen und das erstmals direkt gewählte Amt des Bürgermeisters der Hauptstadt Caracas. Bei den „Megawahlen“, die ursprünglich bereits im Mai stattfinden sollten, dann aber aufgrund von Unregelmäßigkeiten bei der Vorbereitung durch ein US-amerikanisches Unternehmen kurzfristig verschoben werden mußten, standen Hunderte von Posten auf allen politischen Ebenen des Landes zur Wahl.

Mit dem erneuten triumphalen Erfolg Chávez´ und dem hinter ihm stehenden „Polo Patriótico“, zu dem auch die Kommunistische Partei (PCV) zählt, die mehr als 43 000 Stimmen zum Wahlerfolg des alten und neuen Präsidenten beisteuerte, mussten die reiche Oberschicht des Landes und mit ihr die USA eine schwere Niederlage hinnehmen. Diese hatten alles daran gesetzt, mit dem ehemaligen Mitstreiter Chávez´, Arias Cárdenas, eine auch für die in Armut lebende Bevölkerungsmehrheit des Landes wählbare und sich entsprechend radikal gebärdende Alternative zum „Polo“ aufzubauen und Chávez gleichzeitig mit Korruptionsvorwürfen und Lügengeschichten von einer kubanischen Unterwanderung zu demontrieren. Dabei konnten sie auf fast alle Medien, vor allem auf die privaten Fernsehsender, zurückgreifen. Chávez konnte sich lediglich im einzigen staatlichen Fernsehkanal angemessen darstellen, alle anderen Senderketten reihten sich in die Kampagne gegen die Regierung Chávez ein. Als die Regierung gegen diese offensichtlichen Manipulationen Maßnahmen ergriff, gingen die Journalisten der Privatsender auf die Straße und warfen dem Präsidenten vor, eine Diktatur errichten und die Pressefreiheit abschaffen zu wollen.

Unterstützung für die Bolivarianische Revolution

An dem Wahlsieg der Parteien des „Polo Patriótico“ konnte schließlich auch weder das Ausscheren der links-reformistischen Partei „Patria para todos“ (PPT) aus dem Bündnis, noch die Unterstützung von sich als „links“ verstehenden Parteien wie „La Causa R“, „Izquierda“ oder „Bandera Roja“ für Arias Cárdenas etwas ändern. Die von Hugo Chávez und der hinter ihm stehenden Bewegung initiierte „Bolivarianische Revolution“ genießt die breite Unterstützung der Mehrheit.

Unter dieser Losung, die sich auf den Befreier Simón Bolívar bezieht, hatte sich die Regierung unter Chávez nach dessen Regierungsübernahme im Januar 1999 daran gemacht, sämtliche staatlichen Institutionen der „Vierten Republik“ umzuwälzen. In einer Volksabstimmung, der ersten in der Geschichte Venezuelas überhaupt, ließ die Regierung über die Erarbeitung einer neuen Verfassung abstimmen. Nachdem eine überwältigende Mehrheit der Erarbeitung zugestimmt hatte, wurde im Sommer 1999 eine Verfassunggebende Versammlung, die Constituyente, gewählt. Hier stellte sich die Unterstützung für die „Bolivarianische Revolution“ als noch breiter heraus, die bürgerliche Opposition konnte nur noch eine Handvoll vereinzelter Abgeordneter stellen. Die von der Constituyente erarbeitete Verfassung, die als die modernste des südamerikanischen Kontinents gilt, wurde Ende 1999 in einer weiteren Volksabstimmung mit fast drei Vierteln Zustimmung verabschiedet. Das war die Geburtsstunde der Bolivarianischen Republik Venezuela, wie das Land seitdem offiziell heißt.

Ein Bestandteil der neuen Verfassung ist eine völlige Neustrukturierung der staatlichen Organisation des Landes. Der Volksbeteiligung wird breiterer Raum gegeben, das traditionelle Zwei-Kammern-Parlament wird von einer einzigen Nationalversammlung abgelöst, der bislang vom Präsidenten eingesetzte Gouverneur von Caracas wird durch einen vom Volk direkt gewählten Bürgermeister ersetzt. Umfangreiche Rechte genießt auch die indigene Minderheit des Landes, eine Privatisierung der staatlichen Erdölgesellschaft ist verboten.

Gleichzeitig verfolgte die neue Regierung des „Polo Patriótico“ einen Kurs unabhängiger Außenpolitik. Als erster ausländischer Staatsgast nach dem Amtsantritt Chávez´ wurde Fidel Castro empfangen, den USA verbot die Regierung die Nutzung des venezolanischen Luftraums für ihre Flüge über den kolumbianischen Guerillagebieten. Statt dessen liebäugelte Chávez mit den FARC-EP, der kommunistischen Guerilla Kolumbiens, und sprach sich für direkte Gespräche mit dieser Organisation aus, um die Situation an der venezolanisch-kolumbianischen Grenzregion zu stabilisieren, „denn es ist die Guerilla, die dort die Macht ausübt, nicht die Regierung in Bogotá“.

Das arme Volk entschied die Wahl

Das Zentralorgan der kubanischen KommunistInnen, die „Granma“, jubelte am 31. Juli: „Das arme Volk von Venezuela entschied den politischen Sieg der Bolivarianischen Revolution unter der Führung von Hugo Chávez gegen den opportunistischen Oppositionskandidaten, der die Unterstützung der Großkonzerne, der traditionellen Politiker und kubanisch-amerikanischen Mafia in Miami genoss.“ Die Zeitung weist darauf hin, daß der Erfolg unter den Bedingungen massiven Drucks der Opposition, der schwersten Naturkatastrophe in der Geschichte des Landes im vergangenen Dezember und einer komplizierten ökonomischen Situation errungen wurde.

Noch am Abend des Wahltages, unmittelbar nach der offiziellen Bekanntgabe des Ergebnisses durch die Nationale Wahlkommission (CNE), wandte sich Chávez vom Balkon des Regierungsgebäudes an die feiernde Menge. Er kündigte an, der Demokratie einen „neuen Inhalt“ durch eine größere Beteiligung des Volkes geben zu wollen und rief nach der politischen nun die ökonomische und soziale Revolution aus. Als erste Ziele in der neuen Regierungszeit nannte der alte und neue Präsident den kostenlosen Zugang der VenezolanerInnen zu Bildung und Gesundheitswesen und eine Landreform, die den Großgrundbesitz bekämpfen und eine neue Verteilung des Bodens befördern soll. Er rief zur Einheit, zur Geschlossenheit und zum Frieden auf, um „gemeinsam das neue Venezuela aufzubauen“.

In einer Analyse der kubanischen Nachrichtenagentur „Prensa Latina“ schreibt Javier Rodriguez: „Chávez hat nun den Weg frei für die Aufgabe, die er angekündigt hat: den sozialen und ökonomischen Wiederaufbau des Landes in Angriff zu nehmen. Dafür schlägt er der neuen Nationalversammlung eine Reihe von Gesetzen vor, die für dieses Ziel die venezolanische Realität verändern sollen, die von der Existenz von 80 Prozent Elend unter der Bevölkerung gekennzeichnet ist.“

Chávez, der kein Kommunist ist und sich selbst als „weder Marxist noch Anti-Marxist“ bezeichnet, nennt neben dem Nationalhelden Simón Bolívar regelmäßig auch Fidel Castro und Che Guevara als seine Vorbilder. Diese hätten den Weg gezeigt, dem Lateinamerika folgen müsse. Und so ist auch die Euphorie verständlich, wenn Carolus Wimmer, internationaler Sekretär der PCV, am Vorabend der „Megawahlen“ im ND-Interview erklärt, die aktuelle Politik habe „revolutionäre Züge – fast schon Sozialismus!“

Erschienen in der Wochenzeitung „Unsere Zeit“ vom 11. August 2000