Chance und Katastrophe: Präsidentschaftswahl in Kolumbien

Die gute Nachricht zuerst: Zum ersten Mal seit Jahrzehnten hat es bei einer Präsidentschaftswahl in Kolumbien ein linker Kandidat in die zweite Runde geschafft und dort mehr als acht Millionen Stimmen erhalten. Die 41,8 Prozent, die am Sonntag auf Gustavo Petro entfielen, sind eine Demonstration der Unzufriedenheit vieler Menschen mit dem wirtschaftlichen und Gesellschaftssystem des südamerikanischen Landes, denn der Kandidat des »Menschlichen Kolumbiens« hatte sich zu ihrer Stimme gemacht.

Schon die Tatsache, dass Petro den Wahltag erleben konnte, ist eine gute Nachricht, denn in der Vergangenheit wurden unbequeme Präsidentschaftskandidaten immer wieder ermordet, Ende der 1980er Jahre wurde die Linkspartei Unión Patriótica von ultrarechten Todesschwadronen physisch ausgerottet, Tausende Mitglieder wurden getötet. Deshalb ist das Ergebnis Petros ein Zeichen der Hoffnung. Es wird nun auch an ihm liegen, aus dem heterogenen Bündnis von Parteien und Bewegungen, das sich hinter ihm gesammelt hat, eine dauerhafte Bewegung zu entwickeln.

Kurzfristig jedoch kann das Ergebnis eine Katastrophe für Kolumbien bedeuten. Iván Duque, der als Statthalter des militaristischen Expräsidenten Álvaro Uribe ins Rennen gegangen war, hat knapp 54 Prozent der Stimmen erhalten. Sein Wahlkampf richtete sich vor allem gegen die Friedensprozesse zwischen der Regierung des bisherigen Staatschefs Juan Manuel Santos und den Guerillaorganisationen. Die zur legalen Linkspartei gewandelte FARC warnte in einer ersten Stellungnahme zum Ergebnis bereits, dass auf dem Wahlsieger nun die historische Verantwortung laste, den Friedensprozess fortzusetzen oder schuld an einem »neuen Zyklus vielfältiger Gewalt« zu sein, »was uns die heutigen und künftigen Generationen niemals vergeben werden«.

Es wird nun auch auf die so oft beschworene »internationale Gemeinschaft« ankommen, ob Kolumbiens künftiger Präsident Duque seine Ankündigungen aus dem Wahlkampf wahr macht und damit das Land zurück in den Krieg stürzt – oder ob der Druck groß genug wird, ihn davon abzuhalten. Die Chance dazu besteht. Auch Santos war nicht als Friedensengel in seine Amtszeit gestartet, sondern hatte zuvor Uribe als Verteidigungsminister gedient und war direkt verantwortlich für den völkerrechtswidrigen Überfall auf ecuadorianisches Staatsgebiet am 1. März 2008. Doch nach seinem Amtsantritt 2010 nahm er Kurs auf die Friedensgespräche mit den FARC-EP und später mit der ELN.

Tatsache ist aber auch, dass dieser Prozess, für den Santos mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, schon lange in Gefahr ist. Die Gewalt gegen ehemalige Guerilleros, die ihre Waffen abgegeben haben, hört nicht auf, und auch Mordanschläge gegen Linke, Gewerkschafter und Menschenrechtsaktivisten gehören in Kolumbien nach wie vor zum Alltag, Trotzdem hat der 2016 unterzeichnete Friedensvertrag zu einer Entspannung geführt. Das steht nun auf der Kippe.

Erschienen am 19. Juni 2018 in der Tageszeitung junge Welt