Büchse der Pandora

Vor 15 Jahren begann der zweite Krieg der USA gegen den Irak. Nachdem US-Präsident George Bush sen. 1991 die Besetzung Kuwaits durch die Truppen Bagdads zum Vorwand für die »Operation Wüstensturm« genommen hatte, brauchte sein Sohn und Amtsnachfolger George W. Bush 2003 keinen wirklichen Grund für seinen Angriffskrieg. Die Lüge von den angeblichen Massenvernichtungswaffen des Irak, mit denen die Aggression gerechtfertigt wurde, ging in die Geschichte ein. Heute widerspricht praktisch niemand mehr der Aussage, dass der Krieg völkerrechtswidrig war – doch Lehren wurden aus dieser Tatsache nicht gezogen, weder von den meisten großen Massenmedien, die damals bereitwillig die Falschaussagen weiterverbreiteten, noch von den westlichen Regierungen. Anders ist zum Beispiel nicht zu erklären, mit welchem Gejaule man sich in London, Washington, Berlin und Paris auf den mutmaßlichen Giftanschlag von Salisbury stürzt und mit welcher Penetranz in den Mainstream-Medien die unbewiesene Schuldzuweisung an Russland nachgebetet wird.

Bush jr. erklärte Jahre später, die Begründung des Irak-Krieges – nicht der Krieg selbst, der bis zum Ende der Besatzung 2011 Schätzungen zufolge mehr als eine halbe Million Zivilisten das Leben kostete – sei der »größte Fehler« seiner Amtszeit gewesen, machte dafür jedoch »Fehlinformationen« durch die US-Geheimdienste verantwortlich. Tatsächlich war der Krieg jedoch kein Unfall oder »Fehler« eines überforderten Staatschefs, sondern die logische Konsequenz einer Strategie, die der Kreis um Bush schon vor dessen Amtsübernahme als US-Präsident im Januar 2001 entworfen hatte. Schon im September 2000 – und damit rund ein Jahr vor den Anschlägen vom 11. September 2001, die seither als Begründung für die US-Politik dienen – hatte das »Project for the New American Century« unter Beteiligung von Gestalten wie dem späteren Vizepräsident »Dick« Cheney, Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice oder Verteidigungsminister Donald Rumsfeld das 80seitige Papier »Rebuilding America’s Defenses« vorgelegt, in dem die spätere Strategie der USA insbesondere im Nahen und Mittleren Osten detailliert entworfen wurde. Ihren offiziellen Niederschlag fand diese in der »Nationalen Sicherheitsstrategie« vom September 2002. In beiden Papieren reklamierten die USA offen das Recht für sich, »Präventivkriege« gegen »Schurkenstaaten« zu führen. Im Hintergrund stand bereits die Strategie des »Greater Middle East«, des »Großraums Mittlerer Osten«, auch wenn diese von Washington erst 2004 offiziell präsentiert wurde. Deren Ziel war – und ist – die Beseitigung nicht willfähriger Regime und die Schaffung einer den geostrategischen Interessen Washingtons unterworfenen Weltregion. Natürlich sprach man lieber von »Förderung der Demokratie«, dem »Aufbau einer Zivilgesellschaft« oder dem »Ausbau der ökonomischen Potentiale«, als die USA ihr Projekt beim G-8-Gipfel 2004 in Sea Island vorstellten.

Der Krieg gegen den Irak wurde für die Weltmacht zu einem Fiasko. Statt eines schnellen Sieges gab es einen jahrelangen Bürgerkrieg, aus der zunächst säkularen Widerstandsbewegung gegen die Besatzung entstanden religiöse Terrorgruppen, vor allem die spätere Dschihadistenmiliz »Islamischer Staat«. So öffneten die USA die Büchse der Pandora, die die gesamte Region destabilisierte.

Gingen vor 15 Jahren noch weltweit Millionen Menschen gegen den Irak-Krieg auf die Straße, ist die Friedensbewegung heute kaum noch sichtbar. Die anhaltenden Kriege im Nahen und Mittleren Osten erscheinen in den verwirrenden Häppchen der Fernsehnachrichten als weit entfernte Ereignisse, die nichts miteinander zu tun haben. Und die USA schicken, wenn sie es vermeiden können, ihre Truppen nicht mehr direkt in den Kampf, sondern unterstützen örtliche Milizen und »Rebellen«, ermorden mutmaßliche »Terroristen« per ferngesteuerter Drohnen oder beschränken sich auf Eliteeinheiten und »Militärberater«. Auch Vertreter fortschrittlicher Parteien ducken sich weg, um nicht der Sympathie mit dämonisierten Staatschefs bezichtigt zu werden und so eventuell Wählerstimmen zu verlieren.

Der 15. Jahrestag des Irak-Krieges und die bevorstehenden Ostermärsche könnten ein Anlass sein, wieder klar Position gegen die Kriegspolitik der deutschen Bundesregierung, der EU und der USA zu beziehen.

Erschienen am 20. März 2018 in der Tageszeitung junge Welt