Bruch mit Bogotá

Venezuela hat am Donnerstag alle diplomatischen Kontakte zu Kolumbien abgebrochen und seine Truppen an der Grenze zum Nachbarland in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Den kolumbianischen Diplomaten wurde eine Frist von 72 Stunden gesetzt, das Land zu verlassen, die venezolanische Botschaft in Bogotá wurde geschlossen. »Wenn wir unsere Würde bewahren wollen, bleibt uns keine andere Möglichkeit, als alle diplomatischen Beziehungen mit unserem Bruderland abzubrechen «, erklärte Venezuelas Präsident Hugo Chávez in Caracas. Er hoffe, daß in den wenigen Tagen bis zum Ende der Amtszeit des scheidenden kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe »nichts Schlimmes« mehr passiere.

Dem dramatischen Schritt der venezolanischen Regierung vorausgegangen war eine Sondersitzung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Washington, bei der Bogotá Fotos und andere Dokumente präsentierte, die beweisen sollten, daß kolumbianische Guerilleros der FARC und der ELN in Venezuela Unterschlupf gefunden hätten. Venezuelas Botschafter Roy Chaderton wies dies zurück und erklärte, die angeblichen Beweise seien wertlos und lediglich ein Vorwand, um eine Intervention Kolumbiens in seinem Land zu rechtfertigen. OAS-Generalsekretär José Miguel Insulza nutzte seine Ansprache, um beide Seiten zur Besonnenheit und zum Dialog aufzurufen. Allerdings wurde ihm selbst von Venezuela und Ecuador vorgeworfen, durch die übereilte Einberufung der Konferenz zu einer Verschärfung der Situation beigetragen zu haben. Ecuadors Außenminister Ricardo Patiño kritisierte, daß die Statuten der Organisation zwar vorsähen, daß der Vorsitzende des Ständigen Rates der OAS auf Antrag eines Mitglieds zu einer Sondersitzung einladen müsse. Es gäbe aber keine Bestimmung, daß dies »sofort« zu erfolgen habe. Der Vorsitzende sei hingegen auch dafür zuständig, durch Beratungen mit den beteiligten Seiten die Einheit des Kontinents zu bewahren. Das sei versäumt worden. Venezuela hat nun die Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) um ihr Eingreifen gebeten, um die »schweren Aggressionen der Regierung Kolumbiens gegen die Souveränität der Bolivarischen Republik Venezuela« zu behandeln. Nach der Einrichtung von US-Militärbasen in Kolumbien drohe durch die derzeitige Zuspitzung der Lage »eine gefährliche Eskalation«, heißt es in einer vom Außenministerium in Caracas verbreiteten Erklärung.

Der Generalsekretär der Kolumbianischen Kommunistischen Partei, Jaime Caycedo, vermutet, daß es der scheidenden Regierung in Bogotá um ein Ablenkungsmanöver geht. Dem venezolanischen Fernsehsender VTV sagte er, Uribe wolle vor allem von dem Skandal um die Massengräber mit rund 2000 Leichen ablenken, die im Januar in La Macarena entdeckt worden waren. Am Donnerstag hat eine internationale Untersuchungskommission in der Ortschaft ihre Arbeit aufgenommen, um die Identität der Getöteten zu klären. Das kolumbianische Militär hatte nach der Entdeckung erklärt, bei den Toten handele es sich um bei Kämpfen getötete Guerilleros. Anwohner sagten hingegen aus, daß in den vergangenen Jahren zahlreiche Bauern und soziale Aktivisten in der Region spurlos verschwunden seien. Politisch verantwortlich für den Skandal wäre auch der ab 7. August amtierende neue Präsident Juan Manuel Santos, der von 2006 bis 2009 Verteidigungsminister seines Landes war.

Erschienen am 24. Juli 2010 in der Tageszeitung junge Welt