Bolívar abgewertet

Mit einem Ansturm auf die Elektronikgeschäfte haben zahlreiche Menschen in Venezuela am Wochenende auf die von Präsident Hugo Chávez am Freitag angekündigte Abwertung der Landeswährung Bolívar reagiert. Zahlreiche Geschäfte in der Hauptstadt Caracas schlossen jedoch ihre Türen und teilten ihren Kunden mit, sie seien gerade in Inventur, oder ein Ausfall der Computertechnik machten einen Handel unmöglich. Beides kam wenig überraschend, denn während der offizielle Wechselkurs seit Montag statt wie bislang 2,15 nun 2,60 Bs. beträgt, führte die Regierung des südamerikanischen Landes einen zweiten Wechselkurs ein, der unter dem Namen »Erdöldollar« für die meisten Wirtschaftsbereiche gilt und sich auf 4,30 Bs. beläuft.
Durch diesen aufgesplitteten Wechselkurs will die venezolanische Regierung die Wirtschaft des Landes stärken und vor allem die Exporte ankurbeln sowie dem Schwarzmarkt das Wasser abgraben. Obwohl für wichtige Bereiche wie Lebensmittelimporte, das Gesundheits- und das Bildungswesen sowie Überweisungen an Familienangehörige im Ausland der günstigere Kurs zählt, führt die Abwertung des Bolívars jedoch auch zu einer Verteuerung von Importgütern in den Geschäften des Landes. »Die nicht notwendigen Importe werden teurer werden«, räumte auch Chávez während der zeitweilig vom staatlichen Fernsehkanal VTV übertragenen Sitzung des Regierungskabinetts ein. Konkret betroffen seien davon zum Beispiel Fahrzeuge und Schuhe.

In seiner wöchentlichen Fernsehsendung »Aló, Presidente« warnte Chávez am Sonntag jedoch die Händler davor, die Währungsabwertung für Preissteigerungen zu mißbrauchen. »Einige Händler haben am Sonnabend ihre Geschäfte geschlossen, um die Preis­etiketten auszutauschen. Wir fordern sie auf, das zu unterlassen, denn wir werden es nicht dulden«, warnte der Präsident. Die Händler hätten ihre Produkte zu alten Dollarpreisen gekauft, deshalb gäbe es keinen Grund, jetzt die Preise zu erhöhen. Chávez kritisierte, Spekulation sei ein »Symptom des ungezügelten Kapitalismus«, dem sich das Volk und die Arbeiter widersetzen müßten. Er rief die Bevölkerung auf, Preiserhöhungen zu melden. Dann werde die Regierung den Besitzern der Handelsketten ihre Geschäfte wegnehmen und den Beschäftigten übergeben. Es müsse darum gehen, die eigenen Bedürfnisse zu erfüllen und dann an andere Völker zu denken, die von einer höheren Produktion und mehr Exporten aus Venezuela profitieren könnten: »Wir haben den besten Kakao der Welt, die beste Schokolade. Wir können die interne Nachfrage befriedigen und sie dann nach draußen bringen, ebenso wie Kaffee, Sardinen, Thunfisch oder Garnelen«, sagte er. »Wir haben uns an etwas Schlechtes gewöhnt. Wir sollten nur Erdöl produzieren und alles andere importieren. Durch diese berechtigten und notwendigen Maßnahmen werden wir die nationale Industrie voranbringen«. Durch die neuen Wechselkurse werde die Nachfrage nach inländischen Produkten angekurbelt, das werde mittel- und langfristig vor allem den kleinen und mittleren Unternehmen Venezuelas zugute kommen.

Für Venezuelas Minister für Planung und Entwicklung, Jorge Giordani, spiegeln die Maßnahmen der Regierung ihre sozialen Prioritäten wider. So gelte für Überweisungen an im Ausland lebende Studierende und Rentner der günstigere Wechselkurs, während nur zum Vergnügen unternommene Urlaubsreisen ins Ausland teurer würden. Davon werde gerade auch der inländische Tourismus profitieren, dessen Förderung ein Ziel der Regierung sei, so Giordani.

Venezuela hatte Anfang 2003 eine strikte Devisenkontrolle eingeführt. Damals hatte die rechte Opposition nach dem Scheitern des Staatsstreichs von 2002 und der ein halbes Jahr später durchgeführten Wirtschaftssabotage gezielt versucht, die venezolanische Währung zu untergraben. Seither ist ein legaler Umtausch der Landeswährung Bolívar in den Dollar oder den Euro nur noch nach Genehmigung durch die zuständige Behörde Cadivi möglich. Obwohl es der Regierung dadurch gelang, ein Zusammenbrechen der Wirtschaft zu verhindern, betrug die Preissteigerungsrate Venezuelas im vergangenen Jahr mehr als 25 Prozent. Außerdem blüht der Schwarzmarkt mit ausländischen Währungen, der Bolívar ist hier oft nur die Hälfte seines offiziellen Kurses wert.

Erschienen am 12. Januar 2010 in der Tageszeitung junge Welt