Beunruhigende Parallelen

Mit einer »europäischen Armee« gegen den Selbstdarsteller im Weißen Haus und andere Schurken? Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat in der vergangenen Woche, pünktlich zum 100. Jahrestag der Beendigung des Ersten Weltkriegs, eine seit Jahren schwelende Debatte angeheizt. Prompt meldete sich am Sonnabend SPD-Chefin Andrea Nahles zu Wort und verlangte ein »Gegengewicht« zu den USA und Donald Trump. In der EU gebe es 28 Armeen, »kein Wunder, dass wir wahnsinnig viel für Militär ausgeben«, versuchte Nahles, weitere Aufrüstung als Sparmaßnahme schmackhaft zu machen. Schon Anfang 2015 hatten die Autoren einer von der sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-Stiftung mitgetragenen Studie des »Centre for European Policy Studies« (CEPS) in Brüssel verkündet, dass eine EU-Armee gegenüber nationalen Streitkräften 130 Milliarden Euro einsparen könnte.

Eine »europäische Armee« sei deshalb die Alternative zu der von Trump geforderten Aufstockung der Militärausgaben der NATO-Staaten auf zwei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts, verkündete im vergangenen Juli Die Welt. Denn eine Verdoppelung des deutschen Wehretats auf rund 80 Milliarden Euro im Jahr sei »eine Illusion, die hierzulande keine politischen Mehrheiten finden wird«, so das Springer-Blatt.

Die entsprechenden Pläne sind aber viel älter. Schon 1992, als manch einer noch von der »Friedensdividende« nach dem Ende des Kalten Krieges träumte, beschloss die damalige Westeuropäische Union (WEU) in den »Petersberger Aufgaben« unter anderem gemeinsame »Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung«. Inzwischen ist die WEU in der EU aufgegangen, und die schrieb ihre Militarisierung in nahezu allen Grundlagenverträgen der folgenden Jahrzehnte fest. Ende vergangenen Jahres gründeten 25 der 28 EU-Staaten die »Ständige Strukturierte Zusammenarbeit« (Pesco) als Vorstufe einer gemeinsamen Armee.

Wer glaubt, dass eigene Truppen der Friedensnobelpreisträgerin EU eine Verbesserung gegenüber der nach wie vor von den USA dominierten NATO darstellen würden, sitzt einer Illusion auf. Nicht nur, dass EU-Staaten in den vergangenen Jahrzehnten an allen völkerrechtswidrigen Kriegseinsätzen der USA beteiligt waren – gegen Jugoslawien, gegen Afghanistan, gegen den Irak, gegen Libyen –, ohne dass dies zu mehr als atmosphärischen Störungen in der Union geführt hätte. Insbesondere in Afrika tritt Frankreich längst als militärische Führungsmacht auf und lässt sich dort gerne durch die europäischen Verbündeten den Rücken freihalten.

Von daher hat der Zwist zwischen Macron und Trump wenig mit einem Aufbegehren der vernünftigen Europäer gegen die militaristischen USA zu tun. Vielmehr geht es um die Kontrolle der Einflussgebiete und Absatzmärkte auf der Welt. Die will man in Paris, Berlin und Brüssel nicht den USA oder auch China und Russland überlassen. Ein Blick in die Geschichte fördert da beunruhigende Parallelen zutage.

Erschienen am 12. November 2018 in der Tageszeitung junge Welt