Bejubelter Putsch

Nach dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi steht Ägypten wieder vor einer unsicheren Zukunft. Das Militär hatte den islamistischen Staatschef am Mittwoch abend für abgesetzt erklärt und damit für einen Freudenausbruch der Hunderttausenden Demonstranten auf dem Tahrir-Platz im Zentrum Kairos gesorgt. In anderen Teilen der Stadt gingen demgegenüber Anhänger Mursis und von dessen Muslimbruderschaft auf die Straße, um gegen den Putsch zu protestieren. Bei Zusammenstößen zwischen empörten Demonstranten und Sicherheitskräften wurden Medienberichten zufolge mindestens 14 Menschen getötet.

 

Gegen 19 Uhr war Armeechef Abdel Fatah Al-Sisi vor die Fernsehkameras getreten und hatte die Absetzung des Staatschefs und eine zeitweilige Suspendierung der Verfassung verkündet. Der Präsident des Obersten Verfassungsgerichts, Adli Mansur, solle bis zur Wahl eines neuen Präsidenten die Amtsgeschäfte des Staatschefs führen und dürfe »Verfassungsdeklarationen« abgeben. Dieser legte am Donnerstag den Amtseid ab und schwor, »die Verfassung zu respektieren«. Die Übergangsregierung soll nach dem Willen des Militärs aus »nationalen, starken, fähigen Experten« bestehen. Namen wurden offiziell noch nicht genannt, als Kabinettschef gehandelt wurde jedoch der Oppositionspolitiker Mohammed ElBaradei. Dieser sei »unsere erste Wahl«, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters am Donnerstag einen Gewährsmann aus dem Umfeld des Oberkommandos. »Er ist international bekannt, kommt bei den jungen Leuten gut an und glaubt an eine Demokratie, die alle politischen Kräfte einschließt.«

Im Ausland wurde die Lage in Ägypten am Donnerstag mit Sorge beobachtet. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP), der den Putsch durch das Militär in Honduras vor vier Jahren verteidigt hatte, wertete den jetzigen Sturz des ägyptischen Präsidenten als »schweren Rückschlag für die Demokratie«. Bundespolitiker anderer Parteien zeigten sich hingegen verständnisvoll. Zwar sei ein Putsch gegen einen gewählten Präsidenten »ein äußerst fragwürdiger Vorgang«, erklärte etwa Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin am Donnerstag in Berlin. Allerdings trage Mursi durch den Versuch, »die ägyptische Gesellschaft zu islamisieren und zu spalten« selbst die Verantwortung für die Massenproteste. Der CDU-Außenpolitiker Philipp Mißfelder bezeichnete Mursi im Deutschlandfunk als »radikalen gefährlichen Antisemiten«. Zwar sei es »grundsätzlich nicht richtig«, demokratisch gewählte Präsidenten abzusetzen. Im Falle Ägyptens sei die Alternative aber eine Eskalation bis zum Bürgerkrieg gewesen. Der Linken-Abgeordnete Jan van Aken warf Mursi vor, die Hoffnungen auf einen demokratischen Neuanfang enttäuscht zu haben.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International rief die Armee auf, die Sicherheit aller Ägypter zu gewährleisten. »Die Lage ist äußerst angespannt, und es gibt begründete Sorge, daß es zu Repressalien und Racheakten kommt«, sagt Ägypten-Expertin Alexia Knappmann. In den vergangenen Tagen hätten Amnesty-Mitarbeiter in Ägypten zahlreiche Menschenrechtsverletzungen sowohl von Mursi-Anhängern als auch von dessen Gegnern und von Sicherheitskräften festgestellt. Unter anderem dokumentierten sie zahlreiche Vergewaltigungen von Frauen.

Erschienen am 5. Juli 2013 in der Tageszeitung junge Welt