Beihilfe aus Berlin

In Venezuela ist am späten Donnerstag abend (Ortszeit) ein Kinderkrankenhaus attackiert worden. Wie die Außenministerin des südamerikanischen Landes, Delcy Rodríguez, in der Nacht zum Freitag informierte, hätten »von der Opposition angeheuerte bewaffnete Banden« die Klinik angegriffen und in Brand gesetzt. Zu dem Zeitpunkt hätten sich 54 Kinder in dem Gebäude befunden. Die Kleinen wurden mit Rettungswagen evakuiert. In der Umgebung war es zuvor zu Auseinandersetzungen zwischen militanten Oppositionellen und Sicherheitskräften gekommen, berichtete die Tageszeitung Últimas Noticias. Vermummte hatten Barrikaden errichtet und Polizisten mit Brandsätzen angegriffen.

»Die kleine Gruppe von Regierungen, die öffentlich ihre Unterstützung für die venezolanische Opposition erklärt hat, hat diesen extremen Vandalismus und die Gewalt befördert«, kritisierte Rodríguez. Sie spielte auf ein Kommuniqué an, das am Donnerstag von neun lateinamerikanischen Regierungen – darunter die aus Brasilien, Kolumbien und Paraguay – veröffentlicht worden war und in dem von der venezolanischen Regierung Maßnahmen »zur Sicherung der Grundrechte und des sozialen Friedens« sowie die Durchführung von Wahlen und die Freilassung »politischer Gefangener« verlangt wird. Kritik an den militanten Aktionen der rechten Opposition findet sich in dem Dokument nicht.

In auffällig gleichlautender ­Diktion veröffentlichte auch die deutsche Bundesregierung am Donnerstag abend ein Statement zur Lage in Venezuela. Auf der Homepage des Ministeriums von Sigmar Gabriel sind Äußerungen einer anonym bleibenden »Sprecherin des Auswärtigen Amtes« nachzulesen: »Die Bundesregierung beklagt, dass es am 19. April in Venezuela im Verlauf von weitgehend friedlichen Massenprotesten gegen die Regierung zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam, die drei weitere Todesopfer gefordert haben. Wir verurteilen Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung. Es liegt besonders in der Verantwortung der venezolanischen Regierung, das Recht auf friedliche Demonstrationen zu gewährleisten und Gewalttaten gegen Demonstrationen zu verhindern. Die Bundesregierung appelliert an alle Parteien, von Gewalt Abstand zu nehmen.« Weiter fordert Berlin von Caracas unter anderem die »Freilassung der politischen Gefangenen, Anerkennung der Rechte des Parlaments, Aufstellung eines Wahlkalenders und Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation der Menschen«.

Unter den deutschen Diplomaten ist man offenbar noch nicht dazu gekommen, die Verfassung Venezuelas zu lesen (die sogar in deutscher Übersetzung bei der Botschaft des Landes erhältlich ist). Dann hätte man im Auswärtigen Amt vielleicht gemerkt, dass mit diesem Kommuniqué eine Verletzung des Grundgesetzes des Landes verlangt wird. Anders als in der Bundesrepublik existieren in Venezuela nicht nur drei, sondern fünf Staatsgewalten. Neben Legislative, Exekutive und Judikative sind das die »moralische« oder »Bürgergewalt« – zu der der für die Einhaltung der Menschenrechte zuständige Ombudsmann, der Rechnungshof und die Generalstaatsanwaltschaft gehören – sowie die »Wahlgewalt«, die vom Nationalen Wahlrat (CNE) repräsentiert wird. Die Einberufung von Abstimmungen ist also nicht die Aufgabe der Regierung, sondern die des CNE. Ein böser Fauxpas.

Entsprechend ungehalten ist man in der venezolanischen Vertretung in Berlin. »Im Auswärtigen Amt vertraut man offenbar mehr Twitter als dem Repräsentanten des Landes, das man kritisiert«, sagte Botschafter Orlando Maniglia im Gespräch mit junge Welt. Er sei schon vor Tagen im Außenministerium gewesen und habe den zuständigen Beamten Dokumente und Informationen über die Vorgänge in Venezuela zur Verfügung gestellt. Nun werde man auch offiziell auf die Vorwürfe der Bundesregierung reagieren.

Erschienen am 22. April 2017 in der Tageszeitung junge Welt