Begräbnis einer sozialdemokratischen Partei

„Dieser Wahlsieg ist kein End-, sondern ein Ausgangspunkt“, hatte Venezuelas wiedergewählter Präsident Hugo Chávez noch am Wahlabend gesagt. Das könnten die verbliebenen Mitglieder der Partei „Acción Democrática“ (AD, Demokratische Aktion) ganz anders sehen.

Die sich als sozialdemokratische Partei verstehende AD hatte gemeinsam mit der christsozialen COPEI 40 Jahre lang die Politik in Venezuela dominiert. Ausgehend vom „Pakt von Punto Fijo“ – ein hauptsächlich gegen die Kommunistische Partei gerichtetes Abkommen von 1958 – hatten sich AD und COPEI an der Macht abgewechselt und ihren Anhängern gegenseitig Pöstchen und Vorteile zugeschoben. Erst mit dem Wahlsieg von Hugo Chávez 1998 übernahmen neue Kräfte die Regierung in dem südamerikanischen Land.

Für die AD begann damit ein langer und unaufhaltsamer Niedergang. Die Venezolanerinnen und Venezolaner wollten nicht vergessen, dass es ein sozialdemokratischer Präsident, Carlos Andrés Pérez, gewesen war, der im Februar 1989 das Militär gegen die Bevölkerung geschickt hatte, die sich gegen massive Preiserhöhungen und Sozialkürzungen wehrte. Mehrere Tausend Tote waren die Folge dieses Massakers, das unter dem Namen „Caracazo“ in die Geschichte eingegangen ist.

Die AD wollte sich mit dem Verlust ihrer Macht nicht abfinden, und jahrelang sah es so aus, als könnte die Partei zumindest regional und lokal eine Machtbasis verteidigen. Aber sie ließ sich auf ein Bündnis auch mit den reaktionärsten Kräften der gegen Chávez gerichteten Opposition ein. Sie trug den Putschversuch gegen den gewählten Präsidenten vom 11. April 2002 ebenso mit wie die zweimonatige Sabotage der Erdölindustrie im Dezember 2002 und Januar 2003.

Das faktische Ende dieser Partei, die von der „Sozialistischen Internationale“ als Vollmitglied geführt wird und somit als Bruderpartei der SPD bezeichnet werden kann, kam mit den Parlamentswahlen im vergangenen Dezember. Gemeinsam mit den anderen Oppositionsparteien zog die AD kurz vor der Wahl ihre Kandidatinnen und Kandidaten für die Nationalversammlung zurück, um gegen einen angeblichen Wahlbetrug zu protestieren. Damit vermieden die Oppositionsparteien zwar eine sich in den Umfragen abzeichnende schwere Wahlniederlage, aber sie sorgten zugleich dafür, dass heute die den Präsidenten Chávez unterstützenden Parteien in der Nationalversammlung praktisch unter sich sind.

Angesichts dieses Fiaskos entschied sich die Mehrheit der Oppositionsparteien, bei der Präsidentschaftswahl 2006 auf einen Wahlboykott zu verzichten und mit einem gemeinsamen Kandidaten anzutreten. Nur die Führung der AD setzte, gegen wütende Proteste von der eigenen Basis, einen Aufruf zum Wahlboykott durch.

Dieser Boykott, der offenbar nicht einmal von der eigenen Basis befolgt wurde, könnte der endgültige Todesstoß für die Partei gewesen sein. Wenige Tage nach der Präsidentschaftswahl meldeten venezolanische Zeitungen, dass die AD nicht mehr in der Liste der beim Nationalen Wahlrat (CNE) registrierten Parteien aufgeführt ist. Nach dem venezolanischen Parteiengesetz werden Parteien gestrichen, die zweimal hintereinander nicht bei nationalen Wahlen antreten. AD hatte nicht nur die letzten beiden Wahlen boykottiert, sondern war auch bei der Präsidentschaftswahl 2000 nicht angetreten.

Dem selben Gesetz zufolge müssen Parteien, um ihren Parteistatus zu erhalten, entweder ein Prozent bei nationalen Wahlen erreichen oder zu Beginn der Wahlperiode die Unterschriften von 0,5 Prozent der im Wählerverzeichnis eingetragenen Venezolanerinnen und Venezolaner einreichen – das sind rund 79 000 Unterschriften. Diese Bedingungen wären bereits Anfang diesen Jahres fällig gewesen, aber der CNE hatte beschlossen, die Anwendung dieser Regel zu verschieben, damit die betroffenen Parteien an der Präsidentschaftswahl teilnehmen können. Insgesamt 40 Parteien, sowohl aus dem Oppositions- als auch aus dem Regierungslager, müssen nun ab dem 1. Januar jeweils Zehntausende Unterschriften sammeln, um ihren Parteistatus zu erhalten. Unter den betroffenen Parteien sind auch zu den Rechten übergelaufene ehemalige Linksparteien wie MAS, „La Causa R“ oder die maoistische „Bandera Roja“. Auch die AD kann sich durch das Sammeln einer ausreichenden Zahl von Unterschriften wieder legalisieren.

Ob den Sozialdemokraten aber eine so starke Mobilisierung ihrer verbliebenen Basis gelingt, ist fraglich. Faktisch ist die Partei bereits von der Bildfläche verschwunden und es wird über den Übertritt führender Mitglieder der AD zur Partei des Oppositionskandidaten Manuel Rosales, selbst ein ehemaliges AD-Mitglied, spekuliert.

Erschienen in der Wochenzeitung UZ – Unsere Zeit vom 15. Dezember 2006