Baby per Fernbedienung

Gerardo Hernández und Adriana Pérez bekommen eine Tochter. Gema wird Anfang des neuen Jahres das Licht der Welt erblicken. Das wäre – außer für die beiden – keine aufsehenerregende Nachricht, wenn Hernández nicht einer der »Cuban Five« wäre, die vor wenigen Tagen von Washington im Austausch gegen US-amerikanische Spione freigelassen wurden und in ihre Heimat zurückkehren konnten. Als seine Ehefrau Adriana ihn endlich, nach mehr als 16 Jahren ohne Besuchserlaubnis, in Havanna in die Arme schließen konnte, stellten die kubanischen Fernsehzuschauer überrascht fest, dass die 44jährige hochschwanger ist. Die entsprechenden Kommentare im Internet ließen nicht auf sich warten, und auch US-Medien zerrissen sich das Maul. So spekulierte der spanischsprachige Fernsehsender Univisión über heimliche Besuche von Pérez im Gefängnis bei ihrem Mann, die das »kubanische Regime« unter den Augen der US-Behörden arrangiert habe. Wäre da etwas dran gewesen, hätte dies die internationale Solidaritätsbewegung mit den »fünf« in ein schiefes Licht gerückt. Bei den Aktionen hatte die Tatsache immer eine besondere Rolle gespielt, dass Adriana ihren zu zweimal lebenslänglicher Haft verurteilten Mann seit über anderthalb Jahrzehnten nicht mehr sehen durfte, weil ihr Washington die Einreisegenehmigung verweigert hatte.

Nach seiner Rückkehr am 17. Dezember amüsierte sich das offenkundig überglückliche Paar prächtig über die Spekulationen um die Schwangerschaft. Erst vor wenigen Tagen lüftete Gerardo Hernández dann im kubanischen Fernsehen das Geheimnis. »Wir mussten die Fernbedienung benutzen«, scherzte er. Die Schwangerschaft seiner Frau sei Bestandteil der anderthalbjährigen Geheimverhandlungen zwischen Washington und Havanna gewesen.

Gegenüber dem Sender CNN bestätigte ein Sprecher des US-Justizministeriums die Aussagen des Kubaners. Brian Fallon erklärte, das Verfahren sei von Senator Patrick Leahy vermittelt worden, der sich davon eine Verbesserung der Haftbedingungen des auf der Insel verurteilten US-Spions Alan Gross versprochen habe. Nach Angaben der New York Times sei das eingefrorene Sperma von kubanischen Beamten nach Panama gebracht worden, wo Adriana künstlich befruchtet wurde. Ein erster Versuch sei gescheitert, ein zweiter dann vor acht Monaten gelungen.

Die kubanische Seite habe sich seit 2010 regelmäßig für eine solche Lösung eingesetzt, berichtete das Blatt, das im Vorfeld der überraschenden Wende in den kubanisch-US-amerikanischen Beziehungen publizistisch den Boden für diese bereitet hatte. Es sei allerdings nicht einfach gewesen, zu einer Lösung zu kommen, da das FBI Besuche von Adriana Pérez in den Vereinigten Staaten verweigerte. Für die US-Bundespolizei galt Pérez als eine »ausgebildete Agentin« und »Gefahr für die nationale Sicherheit«. Im Februar 2013 hätten kubanische Stellen dann Leahy während dessen Besuch bei Alan Gross im Gefängnis um eine Begegnung mit Adriana gebeten. Gemeinsam mit seiner Frau Marcelle Pomerleau Leahy habe er sie dann in einem Hotel in Havanna getroffen. »Es war ein sehr emotionales Treffen«, erklärte er später in einem Interview. »Sie wollte ein Baby bekommen, bevor sie dafür zu alt sein würde. Sie liebte ihren Mann zutiefst.« Doch während René González 2013 und Fernando González Anfang 2014 nach Verbüßen ihrer Haftstrafen nach Kuba zurückkehren konnten sowie Ramón Labañino und Antonio Guerrero zumindest den Termin ihrer jeweiligen Haftentlassung kannten, war Gerardo Hernández zu zweimal lebenslänglicher Haft verurteilt worden. Ging es nach dem Willen der US-Justiz, sollte er im Gefängnis sterben. Eine künstliche Befruchtung schien so die einzige Möglichkeit für das Paar zu sein, doch noch ein gemeinsames Kind zu haben.

Bei seiner Rückkehr nach Washington sei Leahy überzeugt gewesen, dass man diese humanitäre Frage lösen müsse. Die Schlüsselrolle dabei übernahm der New York Times zufolge sein einflussreicher Berater Tim Rieser, für das Blatt »einer der unbesungenen Helden« dieses Dramas. Ihm sei es um das Schicksal von Alan Gross gegangen, der offenbar krank und selbstmordgefährdet war. »Ich wollte ihnen klar machen, dass wir uns um die Behandlung ihrer Leute kümmern, so, wie wir von ihnen erwarteten, sich um unsere zu kümmern,« zitierte das Blatt. Er konnte Gross offenbar einige Privilegien verschaffen. So wurde ihm der Besitz eines Computers und Druckers gestattetet. Zudem habe Leahy oft mit dem Gefangenen telefonieren können.

Entscheidend für alles war, dass es kein »Leck« unter den Gesprächspartnern gab. Wenn etwas über die Verhandlungen durchgesickert wäre, hätte es den Durchbruch vermutlich nicht gegeben. So aber konnten Barack Obama und Raúl Castro am 17. Dezember die Überraschung verkünden – rechtzeitig vor der Geburt des Babys. Denn sonst hätte jemand die heikle Fragen beantworten müssen.

Erschienen am 25. Dezember 2014 in der Onlineausgabe der Tageszeitung junge Welt