Ausweg aus der Krise finden

Mit einer Reihe von Abkommen zwischen der bolivianischen Regierung des Präsidenten Evo Morales und den Präfekten der Departamentos des Landes sollte am Sonntag (nach Redaktionsschluß) in Cochabamba versucht werden, einen Ausweg aus der seit Monaten anhaltenden Krise in dem südamerikanischen Staat zu finden. Nach schwierigen, aber offenbar meist konstruktiv verlaufenen Gesprächen hatte Präsident Morales angekündigt, die Abkommen über eine Autonomie der Regionen und die Verteilung der Öl- und Gassteuern persönlich unterschreiben zu wollen.

Unklar blieb zunächst aber, ob die oppositionellen Präfekten der Departamentos Santa Cruz, Beni, Tarija und Chuquisaca tatsächlich an der Zeremonie teilnehmen würden. Am Mittwoch abend (Ortszeit) hatte der Präfekt von Tarija, Marío Cossío, als Sprecher der Oppositionellen den Dialog mit der Regierung »vorübergehend« abgebrochen. Wie er sagte, wollten die Präfekten damit gegen die Festnahme des oppositionellen Aktivisten José Vaca protestieren, der als Hauptverdächtiger eines terroristischen Anschlags gegen die Gaspipeline Yacuiba–Rio Grande gilt, die das bolivianische Erdgas nach Brasilien transportiert. Der Anschlag auf die Gaspipeline am 11. September hatte wirtschaftliche Schäden in Höhe von 100 Millionen Dollar verursacht, da die Erdgaslieferungen nach Brasilien eingestellt werden mußten.

Der Anschlag auf die Pipeline gilt als Teil des im September zunächst vereitelten Versuchs der Opposition, durch gewaltsame Aktionen den Sturz der Regierung oder ein militärisches Eingreifen der USA zu provozieren. Nur wenige Tage, nachdem die Regierung am 10. August in einem Referendum mit großer Mehrheit im Amt bestätigt worden war, besetzten Oppositionsanhänger Einrichtungen von Regierungsinstitutionen, blockierten Verkehrswege und griffen Unterstützer der Regierung an. In der Ortschaft Porvenir richteten paramilitärische Gruppen ein Massaker an unbewaffneten Bauern an. Sie sollen dem mittlerweile ebenfalls verhafteten Präfekten von Pando, Leopoldo Fernández, unterstellt gewesen sein.

Der Putschversuch war zusammengebrochen, als Präsident Morales das Kriegsrecht über Pando verhängt, das Militär in Bewegung gesetzt und den US-Botschafter des Landes verwiesen hatte. Bei einem Sondergipfel der Union Südamerikanischer Nationen (Unasur) hatten sich alle Regierungen des Subkontinents auf die Seite der verfassungsmäßigen Regierung gestellt. In der Folge mußte die Opposition die Aufforderung der Regierung annehmen, zum Dialog zurückzukehren. In einem Abkommen hatten beide Seiten dann die Grundlagen der Gespräche festgelegt.

Empört hatte die Regierung auf den Vorwurf Cossíos reagiert, die Staatsführung habe mit der Verhaftung Vacas einen der Punkte der Vereinbarung zwischen Regierung und Präfekten gebrochen. Wie Staatsminister Juan Ramón Quintana betonte, wurde Vaca auf Befehl der Staatsanwaltschaft festgenommen, da Beweise für seine Beteiligung an Terroranschlägen gegen Gaspipelines vorhanden seien. Mit dem Abbruch der Gespräche hätten sich die Präfekten auf die Seite von Terroristen gestellt. Auch Abgeordnete der Regierungspartei MAS (Bewegung zum Sozialismus) und Vertreter von Basisgruppen sprachen davon, daß der Abbruch der Gespräche durch die oppositionellen Präfekten ein gezielter Versuch sei, den gesamten Dialogprozeß scheitern zu lassen. So sagte der Abgeordnete Gustavo Torrico, die Präfekten interessierten sich weder für die Autonomie ihrer Departamentos noch für die Steuerverteilung. Es gehe ihnen nur darum, die Verabschiedung der neuen Verfassung zu verhindern »und einen Staatsstreich durchzuführen, um die Einheit und Integrität des nationalen Territoriums zu zerschlagen«.

Am Samstag kündigten die Präfekten überraschend an, doch an dem Treffen in Cochabamba teilzunehmen, um somit ihren »guten Willen« zu zeigen. Unklar blieb jedoch bis Redaktionsschluß, ob sie auch zu einer Unterzeichnung der ausgehandelten Abkommen bereit sein würden. Morales jedenfalls kündigte an, in jedem Fall an der Zeremonie teilzunehmen: »Ich möchte morgen ein Abkommen mit den neun Präfekten unterschreiben, um die Einheit des bolivianischen Volkes ebenso zu garantieren wie den Ruf vieler Regionen nach Autonomie. Aber das muß eine Autonomie für die Völker sein, nicht für einige Teile der Bevölkerung«.

Erschienen am 6. Oktober 2008 in der Tageszeitung junge Welt