Aufruhr in Katalonien

Katalonien kommt nach den am Montag ergangenen Urteilen gegen führende Repräsentanten der Unabhängigkeitsbewegung nicht zur Ruhe. Am Donnerstag gingen in Barcelona und zahlreichen weiteren Städten Tausende Studentinnen und Studenten auf die Straße, um Freiheit für die politischen Gefangenen und die Unabhängigkeit von Spanien zu fordern. Für den heutigen Freitag haben mehrere Gewerkschaften zu einem Generalstreik »für die Rechte und Freiheiten« aufgerufen. Im Vorfeld zeichnete sich eine beachtliche Beteiligung ab, auch wenn sich die größten Dachverbände CCOO und UGT den Aufrufen zum Ausstand nicht angeschlossen haben. So kündigten die Hafenarbeiter Barcelonas an, die Arbeit für zwölf Stunden niederzulegen. Das katalanische Arbeitsministerium ordnete die Gewährleistung von Notdiensten in allen relevanten Bereichen an. Die anarchosyndikalistische CGT rief ihre Mitglieder offiziell nur zur Teilnahme an Demonstrationen und zu »Widerstandsaktionen auf der Straße« auf. Zugleich erinnerte sie ihre Anhänger aber daran, dass es ihr Recht sei, sich dem Ausstand der anderen Gewerkschaften anzuschließen.

Der Oberste Gerichtshof in Madrid hatte am Montag zwölf Politiker – unter anderem den ehemaligen stellvertretenden Ministerpräsidenten Oriol Junqueras und die frühere Parlamentspräsidentin Carme Forcadell – wegen »Aufruhrs« und Veruntreuung öffentlicher Mittel zu insgesamt fast 100 Jahren Haft und Geldstrafen verurteilt. Im wesentlichen ging es um das am 1. Oktober 2017 durchgeführte Referendum über die Selbstbestimmung Kataloniens, das im Vorfeld vom spanischen Verfassungsgericht verboten worden war. Trotzdem hatten mehr als zwei Millionen Menschen – 43 Prozent aller Wahlberechtigten – ihre Stimme abgegeben und zu mehr als 90 Prozent für die Bildung einer unabhängigen Katalanischen Republik votiert.

»Wenn wir für die Aufstellung von Urnen zu 100 Jahren Gefängnis verurteilt werden, dann ist die Antwort klar: Man muss erneut Urnen für die Selbstbestimmung aufstellen«, erklärte der katalanische Ministerpräsident Quim Torra am Donnerstag vor dem Regionalparlament in Barcelona. Er strebe die Durchführung einer neuen Abstimmung noch vor Ende der laufenden Legislaturperiode an – das wäre spätestens Ende 2021. Unklar blieb, ob Torra ein neues Referendum wie 2017 vorschwebt oder aber »plebiszitäre Parlamentswahlen«, wie es sie 2015 bereits gegeben hatte. Wie die Tageszeitung Ara online berichtete, war der Vorstoß nicht mit den Regierungsparteien »Gemeinsam für Katalonien« (JxCat) und Republikanische Linke (ERC) abgesprochen. Diese reagierten entsprechend verschnupft.

Für die antikapitalistische CUP (Kandidatur der Volkseinheit) wies deren Abgeordnete Natàlia Sànchez den Vorstoß Torras zurück. Zudem kritisierte das linksradikale Bündnis den Regierungschef für dessen demonstrative Unterstützung der Regionalpolizei Mossos d’Esquadra. Dieser wird ebenso wie der spanischen Nationalpolizei vorgeworfen, in den vergangenen Tagen mit übertriebener Härte gegen Demonstranten vorgegangen zu sein.

Unterdessen setzten Tausende Teilnehmer die »Freiheitsmärsche« nach Barcelona fort, wo sie am heutigen Freitag eintreffen wollen. Die Demonstranten waren am Mittwoch morgen in fünf Städten zu ihrem jeweils rund 100 Kilometer langen Weg aufgebrochen. Da sie dazu auch die Autobahnen nutzten, kam der Fernverkehr stellenweise zum Erliegen.

Erschienen am 18. Oktober 2019 in der Tageszeitung junge Welt