Auf Normalisierungskurs

Die Europäische Union (EU) will ihre Beziehungen zu Kuba normalisieren. Das demonstriert der derzeitige Aufenthalt ihres Kommissars für Entwicklung und humanitäre Hilfe in Havanna. Louis Michel traf am Mittwoch abend zum ersten offiziellen Besuch eines EU-Vertreters seit der Verhängung der Sanktionen. Diese waren im Jahr 2003 wegen »Menschenrechtsverletzungen« gegen die Insel erlassen worden. 2005 wurden sie zunächst suspendiert und dann im vergangenen Juni offiziell aufgehoben. Vor einer Woche hatten sich schließlich in Paris der kubanische Außenminister Felipe Pérez Roque mit seinen Amtskollegen aus Frankreich und Tschechien sowie dem EU-Kommissar getroffen.

Wie die kubanische Tageszeitung Granma meldet, stehen auf dem zweitägigen Programm Michels neben Gesprächen mit Außenminister Pérez Roque auch ein Besuch in den Regionen, die besonders schwer von den Wirbelstürmen Ike und Gustav in Mitleidenschaft gezogen wurden. Die beiden Hurrikans waren im September innerhalb einer Woche über die Insel hinweggezogen und hatten Schäden in Milliardenhöhe verursacht. Informationen zufolge war auch eine Begegnung mit Vizepräsident Carlos Lage geplant. EU-Diplomaten sprachen außerdem davon, daß im Rahmen des Besuchs auch ein Rahmenabkommen über die Zusammenarbeit zwischen Kuba und der Gemeinschaft unterzeichnet werden solle. Wenn dieses Abkommen erreicht sei, könne man mit weiteren Besuchen von EU-Beamten auf der Insel in den kommenden Wochen rechnen, um konkrete Projekte zu vereinbaren, hieß es in Agenturmeldungen.

Von kubanischer Seite wird die Normalisierung der Beziehungen begrüßt. Unter anderem hob der kubanische Botschafter in Deutschland, Gerardo Peñalver, am Mittwoch in Berlin ausdrücklich auch den Beitrag der deutschen Bundesregierung in diesem Zusammenhang hervor. Die Aufhebung der Sanktionen sei unter der deutschen EU-Präsidentschaft zwar nicht gelungen, weil damals einige osteuropäische Regierungen einen Konsens verhindert hatten, die Regierung in Berlin habe sich aber sehr dafür eingesetzt.

Trotz der veränderten EU-Position fordert Havanna weiter eine Aufhebung der seit 1996 geltenden »Gemeinsamen Position« Brüssels, die ausschließlich dazu diene, einen »demokratischen Wandel« nach EU-Vorstellungen auf der Insel zu erreichen. Die kubanische Regierung versteht dieses als einseitige Einmischung in die inneren Angelegenheiten und folglich »inakzeptabel« als Grundlage für bilaterale Beziehungen. Diese müßten vielmehr von gegenseitigem Respekt getragen sein, hieß es in einer Erklärung der kubanischen Regierung nach dem Pariser Treffen vom 16. Oktober.

Die Unterstützung für diese Haltung scheint auch innerhalb der EU zu wachsen. So betonte der Vizepräsident des Europaparlaments, Miguel Ángel Martínez, daß die Insel Respekt und Solidarität für ihre Verteidigung der Unabhängigkeit und Souveränität sowie für ihre Freundschaft mit den Völkern verdient habe. Bei einem Treffen in Europa lebender Kubaner zeigte sich Martínez, der Mitglied der sozialdemokratischen EU-Fraktion ist, erfreut über die Normalisierung der Beziehungen: »Ich glaube, die reaktionären Regierungen, die lange diese absurde Politik der Isolierung Kubas durchgesetzt haben, haben an Kraft verloren.«

Erschienen am 24. Oktober 2008 in der Tageszeitung junge Welt