Auf dem Weg zur Einheitspartei?

"Das ist wirklich eine bittere Medizin, die ich nicht trinken werde und die ich nicht mal in der Flasche sehen will." Es ist vielleicht das erste Mal seit Hugo Chávez´ Amtsantritt als Präsident Venezuelas am 2. Februar 1999, dass Ángel Rivas nicht mit ihm einverstanden ist. Auf der Homepage der Kommunistischen Partei Venezuelas (PCV) protestiert er gegen eine Auflösung seiner Partei: "Die PCV darf nicht untergehen. Ihr Name ist ein Synonym für Klassenkampf, für Sonnenaufgänge, Berge, Dunkelheit, verborgene Winkel, Folterungen, Tod und Verschwiegenheit."

Es ist das erste Mal, dass auf der Homepage der venezolanischen KommunistInnen offen eine Entscheidung des Präsidenten kritisiert wird. Die Parteiführung hat zu umfassender Diskussion aufgerufen und für Anfang März einen Sonderparteitag angesetzt. Auch in anderen Parteien schlagen die Wellen hoch.

Am 15. Dezember versammelten sich im Poliedro, der großen Versammlungshalle von Caracas, Tausende von Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfern, um ihren überwältigenden Sieg bei der Präsidentschaftswahl am 3. Dezember zu feiern. 7,3 Millionen Stimmen, fast 63 Prozent, hatte ihr Kandidat gewonnen – der alte und neue Präsident Hugo Chávez. Alle warteten auf seine Ansprache, mit der er sich bei den "Bataillonen, Truppen und Schwadronen" – wie er die Wahlkampfteams getauft hatte – bedanken sollte:

"Wir müssen dem Volk gratulieren, denn Eigentümer des Sieges ist das venezolanische Volk, wir waren Instrumente für den Sieg des Volkes. (…) Heute haben wir einmal mehr bestätigt, dass der Weg Venezuelas auf der Karte verzeichnet ist: der venezolanische Sozialismus, die vollständige Rückgewinnung des Heimatlandes." Chávez übermittelte Grüße von Fidel Castro, mit dem er am Vortag zweimal telefoniert habe, und berichtete, dass der künftige Präsident Nicaraguas, Daniel Ortega, ihm beim Gipfeltreffen im bolivianischen Cochabamba angekündigt habe, dass sein Land der bislang von Kuba, Venezuela und Bolivien gebildeten Bolivarianischen Alternative für die Völker unseres Amerika (ALBA) beitreten werde.

Dann kam Chávez zum Kern: "Wir brauchen eine Partei. (…) Ich habe hier und dort Meinungen und Vorschläge gehört, wir sollten ein breites Bündnis bilden. … Vergessen wir das alles. Was die Revolution braucht ist eine vereinte Partei, eine Partei, nicht eine Buchstabensuppe, mit der wir uns belügen und das Volk betrügen würden."

Er mag in diesem Moment an die zahlreichen kurzlebigen Zusammenschlüsse der bolivarianischen Kräfte gedacht haben. Der "Patriotische Pol", die Koalition, die ihn bei der Präsidentschaftswahl 1998 unterstützt hatte, zerfiel kurz nach dem Wahlsieg. Das "Politische Kommando der Revolution" (2002/03) wurde nach hoffnungsvollem Start zur Karteileiche. Das "Comando Ayacucho" (2003/04) scheiterte auch daran, dass die Führungen der großen bolivarianischen Parteien, vor allem MVR und PPT, die stark gewordenen Basisbewegungen außen vor halten wollten. Das "Comando Maisanta" konnte zwar die siegreiche Kampagne beim Absetzungsreferendum im August 2004 leiten, es scheiterte aber an der Aufgabe, die entstandenen Basisstrukturen zu einer dauerhaften Organisation zu entwickeln.

Nun scheint Chávez ernst machen zu wollen. Mit dem ihm eigenen Pathos erklärte er: "Ich lade alle ein, die mich begleiten wollen, dass sie mit mir in diese neue Partei kommen. (…) Die Parteien die wollen, sollen bleiben, aber natürlich müssten sie dann aus der Regierung ausscheiden." Sogar einen provisorischen Namen präsentierte er der Versammlung: Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV). Fast in einem Nebensatz ordnete Chávez praktisch die Auflösung der von ihm gegründeten Partei Bewegung Fünfte Republik (MVR) an, deren offiziellen Vorsitz er nach wie vor inne hat.

Für Chávez geht es nicht einfach darum, die Parteien, die ihn unterstützen, zu vereinigen. Es soll eine tatsächlich neue Partei von unten her entstehen: "Wie ständen wir vor der Geschichte da, wenn wir morgen oder übermorgen eine angebliche Partei machen und schließlich stände hier an diesem Tisch ich … mit den selben Gesichtern wie immer … Nein, das wäre ein Betrug." Er warnte davor, Fehler der Vergangenheit zu wiederholen: "Was passierte mit den linken Parteien des 20. Jahrhunderts in Lateinamerika mit einigen Ausnahmen? Sie kopierten das Parteimodell der Bolschewiki, denn das hatte mit der Geburt der Sowjetunion, mit der Oktoberrevolution von 1917 einen relativen Erfolg. Wie wir wissen, gab es damals eine große Debatte, die die revolutionäre Bewegung gespalten hat in Bolschewiki und Menschewiki und am Ende setzte sich die Methode der Bolschewiki durch. … Später erlitt sie eine Abweichung, die stalinistische Abweichung, die Lenin nicht verhindern konnte, weil er krank wurde und sehr früh starb. … Seht euch das Ergebnis 70 Jahre später an. (…) Man ging davon aus, dass es das Regime oder das System der Arbeiter war und die Arbeiter gingen nicht zu seiner Verteidigung auf die Straße. … es hatte sich in ein elitäres Regime verwandelt, das den Sozialismus nicht aufbauen konnte. Wir hier werden den venezolanischen Sozialismus aufbauen, das originale venezolanische sozialistische Modell. Für diese neue Ära brauchen wir die Bildung der vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas."

Für die kleinen Parteien, die bei der Präsidentschaftswahl am 3. Dezember unter einem Prozent geblieben waren, stellt der Aufruf des Präsidenten einen eleganten Ausweg dar, müssten sie doch die Unterschriften von 0,5 Prozent der Wahlberechtigten sammeln, um als Parteien beim Nationalen Wahlrat (CNE) registriert zu bleiben. So entschieden die von der radikalen Aktivistin Lina Ron geleitete und geführte "Venezolanische Volkseinheit" (UPV) und andere kleinere Parteien bereits, sich der neuen Partei anzuschließen. Auch der MVR bleibt nach der klaren Ansage ihres Vorsitzenden wohl nichts anderes übrig, sodass ihr Organisationssekretär, Informationsminister William Lara, bereits ankündigen konnte, dass der Besitz der MVR der neuen Partei übergeben werde.

Die meisten anderen Parteien zeigten sich zunächst offen für den Vorstoß des Präsidenten, verwiesen aber auf die Notwendigkeit, ein eventuelles Aufgehen ihrer Organisationen in die vereinte Partei intern zu entscheiden. Damit widersprachen sie Funktionären, die – wie im Falle der links-sozialdemokratischen "Wahlbewegung des Volkes" (MEP) – ihre Parteien bereits voreilig für aufgelöst erklärt hatten.

Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei begrüßte zwar auf seiner Plenartagung vom 21. Dezember die Initiative als "grundlegenden Schritt zum Aufbau einer Führungsinstanz der Bolivarianischen Revolution", forderte aber die Klärung wichtiger Fragen: "Die ideologische Definition, die die neue Partei haben muss; die Konzeption des Sozialismus, den wir für Venezuela haben wollen; der Klassencharakter, den die Partei der Revolution haben muss; ihre organisatorische Konzeption; der Charakter der Kollektiven Führung der Einheitspartei." Auf einem Sonderparteitag am 2. und 3. März will die PCV entscheiden, ob sie sich zugunsten der neuen vereinten Partei auflöst.

Tatsächlich ist die Diskussion gerade für die KommunistInnen nicht einfach. Während andere Parteien sich in Folge der Bolivarianischen Revolution gründeten – wie die Podemos als Abspaltung von der einst starken MAS (Bewegung zum Sozialismus), als diese zur Opposition überlief, oder die PPT, die sich aus der früheren Linkspartei "La Causa R" entwickelte, als diese vor der Wahl 1998 Chávez nicht unterstützen wollte -, blickt die am 5. März 1931 gegründete PCV auf Jahrzehnte politischer Aktivität zurück, in denen sie lange Jahre in der Illegalität wirken musste und auch von "demokratischen" Regierungen oft blutig verfolgt wurde. Angesichts der klaren Analysen und Zielvorstellungen der PCV sträuben sich viele ihrer Mitglieder, dies zugunsten einer noch nicht näher definierten Einheit aufzugeben. Alacou Polacoe schreibt im Diskussionsforum der KP, für ihn seien die Buchstaben P, C und V nicht einfach Teile einer "Buchstabensuppe", wie es Chávez formuliert hatte: "Sie gehören der Kommunistischen Partei Venezuelas, einer Partei mit klar definierter Ideologie, mit klarer Geschichte und beweisbarer Konsequenz und Ergebenheit für die Bolivarianische Revolution. Zu behaupten, die (für die KP abgegebenen) Stimmen am 3. Dezember gehörten nicht der PCV sondern Chávez, ist nicht einmal eine halbe Wahrheit. Nach so vielen Jahren antikommunistischer Propaganda in Venezuela und weltweit ist eine Stimme für die PCV wirklich ´rot, knallrot´, wer PCV wählt, weiß, was er wählt." Mit rund 350 000 Stimmen hatten die Kommunisten ihre Stimmenzahl gegenüber der Präsidentschaftswahl 2000 versiebenfacht und ihren Stimmanteil von 0,9 auf fast 3 Prozent gesteigert.

Auch Chávez will offensichtlich keine nach allen Seiten offene und auf nichts festgelegte Linkspartei schaffen. Obwohl er noch einmal riet, man solle sich nicht heute schon detailliert ausmalen, wie der Sozialismus aussehen werde, bezog er sich in seiner Rede vom 15. Dezember ungewöhnlich deutlich auf marxistische und leninistische Konzeptionen. So stellte er, nachdem er die Sozialisierung von Grund und Boden gefordert hatte, fest: "Wir können nicht nur von sozialistischer Moral sprechen, dann würden wir auf das Thema des utopischen Sozialismus zurückfallen. (…) Die Veränderung des Wirtschaftsmodells ist fundamental, wenn wir einen wirklichen Sozialismus aufbauen wollen. Deshalb muss die Wirtschaft sozialisiert werden, es muss ein wirklich neues Produktionsmodell geschaffen werden." Sozialismus sei ebenso die "Vertiefung der revolutionären Demokratie".

Genau diese revolutionäre Demokratie vermissen aber offenbar manche AktivistInnen beim Aufbau der neuen Partei. PPT-Generalsekretär José Albornoz hatte bereits kurz nach der Präsidentschaftswahl gewarnt, die Einheitspartei sei für die Revolution zwar notwendig, aber: "Die Einheit kann man nicht dekretieren, man muss sie aufbauen." Auch Rafael Uzcátegui, Organisationssekretär dieser Partei, warnte: "Man darf die interne Demokratie nicht im Namen der Einheit gering schätzen, in dieser Hinsicht haben wir eine andere Meinung als Präsident Hugo Chávez." Er wies darauf hin, dass es auch unter den Unterstützerinnen und Unterstützern des "Prozesses" unterschiedliche Meinungen über den von Chávez angestrebten Sozialismus gibt.

Solche Vorbehalte werden sicher nicht durch Angriffe ausgeräumt, wie sie der MVR-Abgeordnete Luis Tascón gegen PPT, Podemos und PCV richtete, denen er vorwarf, um ihre "Machtanteile" zu fürchten: "Sie wollen lieber Kopf einer Maus als Schwanz eines Löwen sein."

Für den Soziologen Edgardo Lander ist die Form, die mit solchen Angriffen die Diskussion über die vereinte Partei angenommen hat, "extrem besorgniserregend". Er fragt: "Hat es einen Sinn, eine sozialistische Partei vor dem Prozess einer kollektiven Schaffung der Vorstellung vom Sozialismus, den man anstrebt, zu gründen? Bedeutet das nicht, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun? Was für eine Zukunft kann man hinsichtlich der Pluralität und Demokratie von einer politischen Organisation erwarten, deren Schaffung auf solche Weise befohlen wird?" Er meint, jetzt eine sei eine hervorragende Gelegenheit, solche strategischen Fragen zu diskutieren, und warnt: "Wir werden es in Zukunft sehr zu bedauern haben, wenn wir diese Gelegenheit nicht angemessen nutzen."

Erschienen in der Wochenzeitung UZ – Unsere Zeit vom 12. Januar 2007