»Arbeiterinnen werden des Profits wegen ermordet«

Gespräch mit Marion Baur, Weberin in einer Weberei im nordirischen Derry. Sie ist gewerkschaftlich aktiv und Mitglied in der Kommunistischen Partei Irlands

Sie und Ihre Kolleginnen haben Geld für rote Nelken gesammelt, die am Internationalen Frauentag, dem 8. März, an die Kolleginnen der Berliner Charité verteilt werden sollen. Gibt es in Irland niemanden, der sich über solche Blumen freuen würde?

In Irland gibt es viele Frauen, die sich über eine rote Nelke am Internationalen Frauentag freuen – ich bin jedes Jahr mit meinen Kolleginnen unterwegs, um sie zu verteilen. Unser Betrieb liegt in einer ländlichen Gegend, wir fahren in die nächste kleine Stadt und bringen ein paar kleine Betriebe wie Zeitungsredaktionen, Banken oder Supermärkte, in denen Frauen arbeiten, kurz zum Stillstand, indem wir den Arbeiterinnen eine Nelke – und natürlich ein Flugblatt – an den Arbeitsplatz bringen.

 

In diesem Jahr bin ich am 8. März allerdings in Berlin, weil wir hier einen Textilladen eröffnen, eine Art kleines Outlet für unsere Produkte. Als ich im Januar hier war, um das vorzubereiten, hörte ich von DKP-Mitgliedern, daß sie vor der Charité Nelken verteilen wollen. Meine Kolleginnen und ich fanden das faszinierend, und so beschlossen wir, diese Aktion mit einer Spende zu unterstützen – als eine Miniversion internationaler Solidarität. In Irland verteilen wir unsere Nelken deshalb dieses Mal erst am Montag nach dem Frauentag. Eine Fotografin, die bei einer lokalen Zeitung arbeitet, will uns dabei begleiten.

Textilien werden heute zumeist in den Billiglohnländern Asiens oder Lateinamerikas produziert. Finden Sie noch genügend Abnehmer für Ihre Waren?

Der Norden Irlands war bis vor nicht allzu langer Zeit, bis in die 70er Jahre, die größte textilproduzierende Region Europas, vor allem durch die Herstellung des weltbekannten irischen Leinens. Wir sind aber kaputtglobalisiert worden. Mit Billigtextilien aus Ländern, in denen die Arbeiterinnen und Arbeiter für Pfennigbeträge produzieren, läßt sich mehr verdienen. Heute ist diese Industrie bei uns sehr klein, sie produziert aber nach wie vor sehr hohe Qualität. Und es gibt eine wachsende Zahl von Menschen, die sich mehr Gedanken darüber machen, wo und unter welchen Bedingungen die Textilien hergestellt werden, die sie tragen. Dazu kommt, daß Leinen ein Stoff ist, der sehr haltbar und sehr gesund ist – das hält uns am Leben. Es ist nicht einfach, aber wir sind noch da – die Webstühle in unserem kleinen Betrieb sind für 2013 voll ausgebucht.

Die günstigeren Preise Ihrer asiatischen oder lateinamerikanischen Konkurrenz werden nicht nur durch Hungerlöhne, sondern auch durch katastrophale Bedingungen vor allem für Frauen erkauft. Immer wieder sterben Menschen – etwa in Bangladesch – bei Bränden in den Textilfabriken. Haben Sie Kontakt zu dortigen Kolleginnen oder Gewerkschaftern?

Was sich heute in der Textilindustrie abspielt – nicht nur in Bangladesch, sondern auch in Indien, Pakistan, der Türkei, um nur einige Beispiele zu nennen –, ist brutaler, menschenverachtender Kapitalismus. Bar jeder Skrupel werden besonders die Arbeiterinnen ausgepreßt wie Zitronen, sie verdienen erbärmlich, und die Zahl der Todesfälle nimmt zu. In Bangladesch alleine sind im vergangenen Jahr mehr als 200 Arbeiterinnen bei Fabrikbränden gestorben. Wir haben Kontakt zu den Gewerkschaften dort, und wir unterstützen die weltweite »Kampagne für saubere Kleidung«, die versucht, Öffentlichkeit zu schaffen und die Arbeiterinnen beim Kampf für ihre Rechte zu stärken.

Können Sie auch direkt Ihre Kolleginnen dort unterstützen?

Wir versuchen vor allem, den Leuten hier in Irland zu erklären, daß die Arbeiterinnen dort nicht »unsere Jobs wegnehmen«, sondern daß sie unsere Schwestern sind, die des Profits wegen ermordet werden – und zwar für den Profit derselben Textilbarone, die hier die Fabriken dichtmachen. Als im November 112 Arbeiterinnen in der »Nazreen Modefabrik« in Bangladesch verbrannten, haben wir das öffentlich Massenmord genannt. Ich denke, jede Öffentlichkeit, die wir zu diesem grauenhaften Thema schaffen können, ist gut und wichtig. Deshalb bin ich sehr froh, hier in Berlin am Internationalen Frauentag über diese unmenschlichen Zuständen sprechen zu dürfen.

Erschienen am 6. März 2013 in der Tageszeitung junge Welt