Ansehen sinkt

Die US-Botschaft in Caracas macht sich Sorgen über das rapide schwindende Ansehen der Vereinigten Staaten in Venezuela. So hätten vor dem Amtsantritt des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez noch 65 Prozent der Venezolaner ein positives Bild von den USA gehabt, bis März 2008 sei dieser Wert in Folge »wohlbegründeteter Angriffe« auf die USA jedoch auf 31 Prozent gefallen. Das geht aus einem der Dokumente hervor, die dem Internetdienst Wikileaks zugespielt wurden und das in dieser Woche von der spanischen Tageszeitung El País ins Netz gestellt wurde. In dem als »geheim« eingestuften Schreiben bittet die Botschaft in Caracas das US-Verteidigungsministerium in Washington – und nicht etwa das eigentlich zuständige State Department – um Unterstützung für eine Kampagne, mit der »Einfluß auf die Informationslandschaft innerhalb Venezuelas« genommen werden sollte.

Im Rahmen dieses Programms, das Baseballtrainings, Rockkonzerte, Sportveranstaltungen sowie Werbeanzeigen und Fernsehspots umfaßte, sollten die Venezolaner an die »historische Freundschaft« zwischen ihrem Land und der Supermacht im Norden »erinnert« werden. Als Losungen dafür schlugen die Diplomaten vor: »Wir waren seit Simon Bolívar auf eurer Seite« und »Wir waren seit den 1800er Jahren Verbündete«. Das hatte Bolívar selbst, der bis heute als Befreier Südamerikas verehrt wird, schon im 19. Jahrhundert anders gesehen, als er in einem Brief an den britischen Diplomaten Patricio Campbell schrieb: »Die USA scheinen von der Vorsehung dazu bestimmt zu sein, Amerika im Namen der Freiheit mit Elend zu überziehen.«

Bestätigt fühlen kann sich von den Wikileaks-Enthüllungen die US-amerikanische Rechtsanwältin und Publizistin Eva Golinger, die seit 2005 in mehreren Veröffentlichungen Wa­shingtons Finanzhilfen für die Opposition in Venezuela aufgedeckt hatte. Dabei konnte sie auf bis dahin der Geheimhaltung unterliegende Papiere der US-Administration zurückgreifen, auf die sie durch den »Freedom of Information Act« Zugriff bekam. Im venezolanischen Fernsehen VTV sagte sie nun, die Wikileaks-Dokumente zeigten, daß das »Spionage- und Informantennetz der USA und Venezuela« weit über das hinausgehe, was bisher über die Einmischung bekannt war. Insbesondere sei »beeindruckend, wie viele Oppositionsführer Informanten der US-Botschaft in Caracas sind«, schrieb sie in der Nacht zum Donnerstag in einer Mitteilung über den Internetdienst Twitter.

Besondere Aufmerksamkeit widmen die US-Diplomaten den Beziehungen zwischen Venezuela und Kuba, die sie als »Achse der Störenfriede« bezeichnen. »Anti-Chávez-Politiker« seien jedoch »auf dem Holzweg« gewesen, als sie den »Kommunismus« und kubanische »Verletzungen der Souveränität« Venezuelas anprangerten. Das habe die armen Venezolaner einfach nicht interessiert, heißt es in einer von Wikileaks veröffentlichten Geheimdepesche vom Januar 2006. Auch einer von den Regierungsgegnern behaupteten »Kubanisierung« der Streitkräfte schenkt die US-Botschaft keinen Glauben. Die Präsenz von Kubanern in der venezolanischen Armee sei gering, ebenso wie in der Wirtschaft des südamerikanischen Landes. Allerdings sei der kubanische Geheimdienst im Land aktiv und habe »Venezuelas Anti-USA-Geheimdiensten viel anzubieten«. Kubanische Geheimdienstoffiziere hätten »direkten Zugang zu Chávez« und würden ihn »häufig mit Geheimdienstberichten versorgen«. Besonders stört die Diplomaten daran, daß diese Berichte vorher nicht venezolanischen Offizieren vorgelegt werden. Offenbar aus gutem Grund, denn in demselben Dokument werden »Anti-Chávez-Offiziere« als Gewährsleute der US-Diplomaten benannt. Die Zusammenarbeit zwischen venezolanischen und kubanischen Sicherheitsbehörden ist jedoch seit Jahren ein offenes Geheimnis. So war es kubanischen Quellen in Miami schon Ende 1999 gelungen, Anschlagspläne gegen den venezolanischen Präsidenten aufzudecken. Auch bei dessen Auslandsreisen und internationalen Events in Venezuela unterstützen Kubaner die venezolanischen Behörden.

Erschienen am 3. Dezember 2010 in der Tageszeitung junge Welt