Angst und Hoffnung

In Kolumbien spitzt sich das Ringen um eine Freilassung des seit mehr als zwölf Jahren von der Guerilla der Revolutionären Streitkräfte (FARC) festgehaltenen Unteroffiziers Pablo Emilio Moncayo zu. Am Dienstag berichtete dessen Vater, der als »Friedenswanderer« bekannt gewordene Gustavo Moncayo, in Bogotá den Medien, daß die Familie von einem lokalen Rundfunksender darüber informiert worden sei, daß seinem Sohn möglicherweise die Flucht aus der Gefangenschaft gelungen sei. Dieses Gerücht wurde am Mittwoch jedoch von der kolumbianischen Regierung dementiert. Trotzdem hat den Lehrer, der zu Fuß Tausende Kilometer durch Kolumbien marschiert war, um für eine Freilassung seines Sohnes zu demonstrieren, diese Nachricht alarmiert. Und auch seine Tochter, Pablo Emilios Schwester Yury Tatiana, sorgt sich um ihren Bruder. »Ich mache die Regierung Kolumbiens für alles verantwortlich, was von jetzt an meinem Bruder zustößt«, sagte sie gegenüber jW.

Auch ihr Vater sieht das Schicksal seines Sohnes in der Hand von Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe: »Wir wissen, daß die FARC ihn verschleppt haben, aber wir wissen ebenso, daß die Regierung nach zwölf Jahren nicht auf die Ankündigung seiner Freilassung geantwortet und dadurch die Angst verlängert hat. Diesen unendlichen Schmerz hätte die Familie nicht erleben müssen, wenn die Regierung die Logistik für seine Freilassung rechtzeitig mit der Kirche, der Senatorin Piedad Córdoba und dem Internationalen Roten Kreuz entwickelt hätte. Dann wäre unser Sohn schon bei uns.« Er fordert den Schutz seines Sohnes auch durch die kolumbianischen Regierungstruppen: »Wir gestatten keine militärischen Rettungsmaßnahmen und wollen die Risiken nicht tragen, die unsere Hoffnung auf ein Zusammenkommen der Familie zerstören.«

Der heute 31 Jahre alte Unteroffizier Pablo Emilio Moncayo war 1997 bei Gefechten der größten Guerillaorganisation des südamerikanischen Landes in die Hände gefallen. Im April hatten die FARC schließlich in einer Erklärung angekündigt, den Soldaten zusammen mit einem weiteren Gefangenen freilassen zu wollen, ohne dafür auf eine Gegenleistung der Regierung in Bogotá zu bestehen. Sie forderten lediglich, daß die Regierung in Bogotá die für eine ungefährdete Freilassung »notwendigen Garantien« abgeben müsse. Damit ist vor allem ein zeitweiliger Verzicht auf Militäroperationen gemeint, um zu verhindern, daß die Gefangenen und ihre Begleiter bei Angriffen des Militärs zwischen die Fronten geraten. Uribe verweigerte monatelang eine solche Zusicherung und forderte statt dessen von der Guerilla, sie solle sofort und bedingungslos alle in ihrer Gewalt befindlichen »Geiseln« freilassen.

Erst am Dienstag, fast zeitgleich mit dem Aufkommen der Gerüchte über die Flucht von Pablo Emilio Moncayo, hatte die Regierung eingelenkt und in einem Kommuniqué erklärt, die notwendigen Garantien abzugeben, und die Katholische Kirche sowie das Internationale Rote Kreuz gebeten, den »operativen Part« zur Freilassung des Gefangenen zu übernehmen. Nicht erwähnt wird in dieser Erklärung jedoch die liberale Senatorin Piedad Córdoba, deren Vermittlung von der Guerilla gefordert worden war. Das kann zu einem neuen Hindernis für eine Freilassung werden, denn nachdem die Regierungstruppen im vergangenen Jahr bei der Befreiung der früheren Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt die Symbole des Roten Kreuzes mißbraucht hatten, um die Guerilleros zu täuschen, sind die FARC noch vorsichtiger geworden.

Für die Familie Moncayo steht unterdessen fest, daß das Drama der Gefangenen nur durch einen umfassenden humanitären Austausch beendet werden kann, der auch die mehreren hundert in kolumbianischen Gefängnissen inhaftierten Mitglieder der Guerilla umfaßt. »Die Freilassung meines Sohns öffnet die Türen« für ein solches Abkommen, hofft Gustavo Moncayo.

Erschienen am 26. November 2009 in der Tageszeitung junge Welt