Anerkenner des Tages: Europaparlament

Hurra! Das Europaparlament darf mal etwas entscheiden! Eigene Gesetze können die Abgeordneten nicht beschließen, sondern höchstens an Vorlagen herumkritteln, die ihnen vorgelegt werden. Zum Präsidenten der EU-Kommission können sie nur einen Kandidaten wählen, der ihnen von den Regierungschefs der Mitgliedsländer präsentiert wurde. Ansonsten sind sie damit beschäftigt, einmal im Monat von Strasbourg nach Brüssel oder umgekehrt hin- und herzuziehen.

Doch nun haben sie endlich etwas gefunden, was sie wählen dürfen. Am Donnerstag beschloss das Parlament mit 439 gegen 104 Stimmen bei 88 Enthaltungen, Juan Guaidó »als den einzigen rechtmäßigen Interimspräsidenten« Venezuelas »anzuerkennen, bis eine freie, transparente und glaubwürdige Präsidentschaftswahl angesetzt werden kann, um die Demokratie wiederherzustellen«.

Mit »freien, transparenten und glaubwürdigen« Wahlen kennen sich die Damen und Herren Abgeordneten aus. Ihre Posten verdanken sie der Europawahl 2014, an der sich EU-weit gut 42 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten – und das bei in einigen Staaten geltender Wahlpflicht. In der Slowakei lockte die Wahl damals gerade einmal 13 Prozent an die Urnen. Aber mit solch überwältigender Unterstützung kann man sich schon mal zum Richter über die Wahlen in Venezuela (Beteiligung: 46,07 Prozent) aufspielen.

Die Selbsternennung Guaidós habe den Bestimmungen des venezolanischen Grundgesetzes entsprochen, urteilten sie. Mal abgesehen davon, dass das Unsinn ist – wenn in Venezuela wirklich, wie von Guaidó behauptet, das Präsidentenamt vakant wäre, müsste er laut dieser Verfassung nach Übernahme der Regierungsgewalt innerhalb von 30 Tagen Neuwahlen durchführen. Am Donnerstag kündigte er gegenüber El País aber an, diese würden »in sechs, neun oder maximal zwölf Monaten« stattfinden. Und nun? Zeit für Ultimatum und Sanktionen gegen ­Guaidó!

Erschienen am 1. Februar 2019 in der Tageszeitung junge Welt