»Almagro go home!«

Venezuela bleibt zumindest vorerst mit allen Rechten Mitglied der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). Das ist das unausgesprochene Ergebnis einer Sondersitzung des Ständigen Rates der OAS in Washington am Mittwoch (Ortszeit). Die Botschafter der Mitgliedsstaaten verabschiedeten dort eine Erklärung, in der sie Venezuela Unterstützung anbieten, einen offenen Dialog »zwischen der Regierung, anderen verfassungsmäßigen Autoritäten und allen politischen und gesellschaftlichen Akteuren« zu führen. Zudem werden die Vermittlungsbemühungen der früheren Regierungschefs von Spanien, José Luis Rodríguez Zapatero, der Dominikanischen Republik, Leonel Fernández, und von Panama, Martín Torrijos, ebenso unterstützt wie alle anderen Initiativen, die einen Dialog zwischen den Konfliktparteien ermöglichen.

Damit unterscheidet sich der Beschluss deutlich vom ursprünglichen Entwurf, den Argentinien mit Unterstützung von Barbados, den USA, Honduras, Mexiko und Peru eingebracht hatte. In diesem war die Regierung Venezuelas gar nicht mehr erwähnt worden. Außerdem war die Rede davon, im Ergebnis des Dialogs müsse die »repräsentative Demokratie« in Venezuela gestärkt werden – tatsächlich jedoch legt die 1999 per Volksentscheid angenommene Verfassung des südamerikanischen Landes fest, dass dort eben keine »repräsentative«, sondern eine »partizipative Demokratie« herrscht.

Mit keiner Silbe erwähnt wird in der angenommenen Resolution die »Interamerikanische Demokratie-Charta«. Dieses am 11. September 2001 verabschiedete Papier ermöglicht es den Mitgliedsstaaten, ein Land auszuschließen, wenn dort die demokratischen Regeln verletzt werden. Das ist bisher nur einmal geschehen, nach dem Putsch in Honduras 2009. Am Dienstag hatte jedoch OAS-Generalsekretär Luis Almagro unter ausdrücklichem Verweis auf diese Charta eine Sondersitzung des Ständigen Rates für den Zeitraum zwischen dem 10. und 20. Juni beantragt. In dem Schreiben behauptete er, in Venezuela sei die »verfassungsmäßige Ordnung zerbrochen« und die »demokratische Ordnung bedroht«.

Luis Almagro versteht sich selbst als »Linker« und gehört nach eigenen Angaben weiter der »Bewegung für Volksbeteiligung« (MPP) an, die Teil der in Uruguay regierenden Linksallianz Frente Amplio ist. Zwischen 2010 und 2015 war er unter dem damaligen Präsidenten José Mujica Außenminister seines Landes, bevor er auf den Chefposten der OAS wechselte. Am 25. Mai attackierte er in einem Interview mit der in Montevideo erscheinenden Zeitschrift Búsqueda das »bolivarische Regime« in Caracas. Die Regierung von Nicolás Maduro sei »definitiv nicht links« und klammere sich nur noch an die Macht. Die Kommunistische Partei Uruguays (PCU), die ebenfalls der Frente Amplio angehört, konterte prompt: Almagro sei »eine Marionette des Imperialismus«, erklärte der PCU-Parlamentsabgeordnete Óscar Andrade im Fernsehsender Telemundo.

Nach der Sitzung vom Mittwoch erscheint es fraglich, ob Almagro in der OAS die für einen Ausschluss Venezuelas notwendige Zweidrittelmehrheit der Mitgliedsstaaten mobilisieren kann. Selbst Argentinien, dessen seit Dezember amtierende Rechtsregierung von Mauricio Macri einen Konfrontationskurs gegen Caracas fährt, rudert zurück. Außenministerin Susana Malcorra erklärte am Mittwoch, die Demokratie-Charta helfe »nicht unbedingt« bei der Lösung der Probleme. Und ihr OAS-Botschafter Juan José Arcuri legte Almagro nahe, er solle »freundlicherweise davon absehen, das Wort zu ergreifen«. Wenn er »uns etwas mitteilen« wolle, solle er die dafür vorgesehenen Wege einhalten. Darauf polterte in Caracas Oppositionsführer und Parlamentspräsident Henry Ramos Allup, nach diesem »Schwenk« heiße der argentinische Regierungschef nicht mehr Macri, sondern »Micro«.

In Caracas demonstrierten am Mittwoch Tausende Jugendliche ihre Unterstützung für die Regierung und gegen die Einmischung der OAS. Bei der Kundgebung unterstrich Staatspräsident Maduro, dass sich Venezuela »weder von einem Imperium noch von der OAS und auch nicht vom Druck eines Herrn Almagro« den Kurs aufzwingen lassen werde. Die Menge antwortete: »Almagro go home!«

Erschienen am 3. Juni 2016 in der Tageszeitung junge Welt