Alarm in Caracas

In Venezuela haben Medienberichten zufolge Beamte der militärischen Spionageabwehr DGCIM und des Inlandsgeheimdienstes Sebin am Dienstag (Ortszeit) das Haus des früheren Verteidigungsministers Raúl Isaías Baduel in Maracay umstellt und den General abgeführt. Eine offizielle Stellungnahme der Regierung oder der beteiligten Sicherheitsdienste gibt es dazu bislang nicht. In Venezuela wird aber davon ausgegangen, dass die Verhaftung im Zusammenhang mit einer Entscheidung der von der Opposition kontrollierten Nationalversammlung steht. Diese hatte am Montag mit den Stimmen von 106 Abgeordneten des rechten Lagers per Beschluss festgestellt, dass Venezuelas Präsident Nicolás Maduro sein »Amt aufgegeben« habe und die »sofortige Durchführung allgemeiner Wahlen« verlangt. Die Parlamentarier stützten sich dabei auf Artikel 233 der venezolanischen Verfassung, in der Regelungen für die Nachfolge des Staatschefs festgehalten sind, wenn dieser etwa wegen Tod, Rücktritt oder aufgrund eines Urteils des Obersten Gerichtshofs aus dem Amt ausscheidet oder aber das Parlament feststellt, dass der Präsident seine Funktionen »nicht wahrnimmt«.

Die Abgeordneten behaupteten, Maduro habe »seine verfassungsmäßigen Aufgaben vollständig aufgegeben«. Der Staatschef habe aufgehört, den Venezolanern »Lebensmittel, Gesundheitsversorgung und Wohlstand zu garantieren« sowie keine Maßnahmen gegen die Unsicherheit ergriffen und »ständig die Menschenrechte verletzt«. Zudem habe er »alle öffentlichen Gewalten und die Nationalen Streitkräfte entführt« und die Durchführung eines Amtsenthebungsreferendums sowie von Regionalwahlen verhindert.

Selbst der Opposition nahestehende Verfassungsrechtler halten diese Argumentation für absurd. Pedro Afonso, der an der Zentraluniversität Venezuelas lehrt, betonte im Gespräch mit der britischen BBC: »Dass ein Präsident seine Macht schlecht oder nicht entsprechend der Verfassung nutzt, ist keine Amtsaufgabe.« Die Richter des Obersten Gerichtshofs hatten bereits vor der Abstimmung in der Nationalversammlung festgestellt, dass Maduro seine Aufgaben wahrnimmt und ein anderslautender Beschluss der Abgeordneten deshalb verfassungswidrig sei.

Die rechten Parlamentarier haben offensichtlich zu einem Konstrukt gegriffen, um die letzte legale Chance wahrzunehmen, vorgezogene Neuwahlen zu erzwingen. Die Verfassung legt fest, dass bei einem Ausscheiden des Staatschefs in den letzten zwei Jahren seiner Amtszeit der Vizepräsident die Aufgaben bis zum regulären Wahltermin auszuüben hat. Diese Frist begann am Dienstag. Seither gibt es für die Rechte nur noch eine Möglichkeit, vor 2019 die Macht zu übernehmen: durch einen Staatsstreich.

Das Regierungslager vermutet deshalb, dass der Beschluss des Parlaments den »legalen« Vorwand für einen Putsch liefern soll. Der Chef der sozialistischen Parlamentsfraktion, Héctor Rodríguez, nannte den Beschluss der Rechten gegenüber Journalisten »verrückt und lächerlich«. Die Erklärung habe nur dann einen Sinn, wenn sie im Zusammenhang mit einem »zum Scheitern verurteilten Versuch eines Staatsstreichs« stehe. Maduro vereidigte am Dienstag ein »Antiputschkommando« unter der Leitung von Vizepräsident Tareck El Aissami. Diesem gehören unter anderem der Verteidigungs- und der Innenminister sowie die Chefs von Nationalpolizei, Miliz, Sebin und DGCIM an.

Venezolanische Journalisten gingen deshalb davon aus, dass der Schlag gegen Baduel direkt auf eine Entscheidung dieses Gremiums zurückzuführen ist. Bislang haben sich die venezolanischen Streitkräfte von allen Versuchen distanziert, den Staatschef zu stürzen. Zuletzt veröffentlichte Verteidigungsminister Vladimir Padrino López im Namen des Militärs eine Erklärung, in der er »einem Teil der Nationalversammlung« Verfassungsverletzungen vorwarf und Maduro die »absolute Loyalität und uneingeschränkte Unterstützung« der Soldaten versicherte.

In dieser Situation hätte Baduel eine Galionsfigur der Regierungsgegner sein können, um einen Sturz Maduros gegenüber der Bevölkerung zu legitimieren. Der General hatte nach dem Putsch gegen Hugo Chávez im April 2002 – in den auch viele der heutigen Spitzenpolitiker der Opposition verwickelt waren – die militärische Operation geleitet, die den Präsidenten aus der Gefangenschaft zurück nach Caracas holte und den Staatsstreich vereitelte. Das machte ihn populär. Im Juni 2006 ernannte Chávez ihn zum Verteidigungsminister. Gut ein Jahr später schied Baduel offenbar infolge politischer Differenzen aus dem aktiven Dienst in den Streitkräften aus und trat auch als Ressortchef zurück. 2009 wurde er nach Korruptionsvorwürfen verhaftet und 2010 zu acht Jahren Haft verurteilt. 2015 wurde er unter Auflagen aus dem Gefängnis entlassen. Baduel selbst hatte die gegen ihn erhobenen Vorwürfe stets bestritten und sich als »Geisel von Hugo Chávez« bezeichnet.

Wenn er nun einen Aufstand angeführt hätte, um »zur Rettung der Verfassung« Maduro zu stürzen, hätte das einige Wirkung haben können. Aus dem Gefängnis heraus dürfte das jedoch schwierig werden.

Erschienen am 13. Januar 2017 in der Tageszeitung junge Welt und in der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek