Akute Lebensgefahr

Martín Batalla wurde 1985 in der zentralkolumbianischen Gemeinde Manizales geboren. Bereits als Kind entdeckte er für sich die Musik als Ausdrucksmittel. Speziell der Rap habe es ihm angetan, denn dieser habe sich seit seiner Entstehung durch kritische Texte ausgezeichnet und sei ein ideales Mittel, um eine Botschaft unter den Menschen zu verbreiten, erzählte er am Donnerstag im Gespräch mit junge Welt. »Für mich war und ist der Rap eine Möglichkeit, Widerstand zu leisten.«

Als Schüler in Medellin versuchte er, seine Kunst für den gewaltfreien Widerstand gegen die Machenschaften der Paramilitärs einzusetzen. Die ul­tra­rechten Todesschwadronen bemühten sich damals, Jugendliche für ihren schmutzigen Krieg gegen die Linke zu rekrutieren. Dagegen setzten Batalla und seine Freunde Aufklärung. »Ich gehörte keiner der aufständischen Gruppen an«, betont er. Trotzdem wurde er verfolgt und saß zwei Jahre lang im Gefängnis. Daraus zog er im Alter von 19 Jahren die Konsequenz, sich der Guerilla anzuschließen und den Kampf in den Reihen der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC- EP) fortzusetzen. »In Kolumbien waren alle Möglichkeiten versperrt, den politischen Kampf legal zu führen.«

Heute lebt der 33jährige in einem Übergangslager demobilisierter Guerilleros in La Guajira im Nordosten Kolumbiens. Den Friedensprozess zwischen der Guerilla und der Regierung von Staatschef Juan Manuel Santos hatte er begrüßt. »Wir haben uns für ein Abkommen eingesetzt, das die Ursachen beseitigt, die zum Krieg geführt haben. Deshalb ist die Vereinbarung sehr umfangreich und beinhaltet zum Beispiel die Frage der Verteilung von Grund und Boden, die Vergabe von Kleinkrediten an die Bauern oder das Thema der Entschädigung der Opfer von Krieg und Vertreibung.«

Heute ist Batalla ernüchtert. Die Guerilla habe die Waffen abgegeben, doch der Staat habe seinen Teil der Verpflichtungen nicht eingehalten. Noch immer säßen rund 600 politische Gefangene in den Haftanstalten ein, obwohl ihre Freilassung Teil der Vereinbarungen war und vor mehr als einem Jahr ein entsprechendes Amnestiegesetz erlassen wurde. Die Morde an ehemaligen Guerilleros gehen weiter, und nun werde diese »komplizierte und frustrierende Situation« noch durch die Verhaftung und drohende Auslieferung des FARC-Vorstandsmitglieds Jesús Santrich verschärft.

Der 51jährige Comandante Santrich, der mit bürgerlichem Namen Zeuxis Hernández heißt, gehörte der Verhandlungsdelegation der FARC-EP bei den jahrelangen Gesprächen in Havanna an. Auf dem Gründungskongress der aus der Guerillaorganisation hervorgegangenen legalen Partei FARC (Revolutionäre Alternative Kraft des Volkes) wurde Santrich in den Vorstand gewählt. Er gehört der paritätisch von Vertretern der FARC und der Regierung gebildeten Kommission zur Überprüfung der Umsetzung des Abkommens an und sollte in dem am 11. März neugewählten Kongress einen der Parlamentssitze einnehmen, die der FARC nach dem Friedensvertrag unabhängig von ihrem Wahlergebnis zustehen.

Am 9. April wurde Santrich jedoch in seinem Haus in Bogotá verhaftet. Grundlage dafür war ein in den USA ausgestellter Haftbefehl. Washingtons Antidrogenbehörde DEA wirft dem Comandante vor, in Drogengeschäfte verwickelt zu sein. Man habe »unzählige Beweise« dafür, dass der ehemalige Guerillero zusammen mit mexikanischen Drogenkartellen geplant habe, »zehn Tonnen Kokain« zu schmuggeln, behauptete Kolumbiens Generalstaatsanwalt Néstor Humberto Martínez gegenüber Medienvertretern. Die Führung der FARC stellte sich dagegen umgehend hinter ihren Genossen und sprach von manipulierten Beweisen. »Wo sind denn diese zehn Tonnen Kokain und die Flugzeugflotte, die Santrich angeblich benutzen wollte«, fragte dessen Vorstandskollege Iván Márquez am Mittwoch die Behörden.

Batalla vermutet hinter der Festnahme Santrichs ein gezieltes Manöver der USA gegen den Friedensprozess. Er erinnert an den Fall des ehemaligen FARC-Comandante Simón Trinidad alias Ricardo Palmera. Dieser hatte zwischen 1998 und 2002 die Guerilla bei den Friedensverhandlungen mit der damaligen kolumbianischen Regierung von Staatschef Andrés Pastrana vertreten. Zwei Jahre nach deren Scheitern wurde er in Ecuador festgenommen, als er unter UN-Vermittlung versuchte, zumindest einen Gefangenenaustausch zustande zu bringen. Er wurde an Bogotá überstellt und von dort an die USA ausgeliefert, wo er zu 60 Jahren Haft verurteilt wurde. Während der Verhandlungen in Havanna versuchten die FARC-EP, seine Freilassung zu erreichen, damit er Teil ihrer Delegation werden konnte. Washington lehnte das ab, man sei nicht Teil des Friedensprozesses. Trinidads Rechtsanwalt Mike Burton erinnerte im vergangenen September gegenüber junge Welt daran, dass für Trinidad die Amnestieregelungen des Friedensvertrages gelten würden, wenn er in seinem Heimatland und nicht in den USA inhaftiert wäre. »Deshalb fordern wir, dass er nach Kolumbien zurückkehrt. Er ist eine wichtige Person der kolumbianischen Politik.«

Santrich ist entschlossen, nicht das Schicksal seines Genossen zu teilen. Im Gefängnis trat er in den Hungerstreik und ist nach Informationen von Kontaktpersonen entschlossen, diesen bis zum Ende durchzuhalten. Nach fast drei Wochen ohne Nahrungsaufnahme sei sein Leben inzwischen in unmittelbarer Gefahr, warnte am Mittwoch der kolumbianische Alternativsender Café Stereo. »Das bringt den Friedensprozess in seine bislang kritischste Phase«, warnt Batalla. »Jesús Santrich und Simón Trinidad sind Kämpfer für die sozialen Interessen des Volkes. Sie sind keine Verbrecher, sondern Revolutionäre, die sich für Veränderungen in Kolumbien einsetzen. Die Kampagne gegen sie soll unseren Kampf verleumden und uns als Drogenkriminelle und Terroristen darstellen. Das dient dazu, den Friedensvertrag insgesamt in Frage zu stellen.«

Iván Márquez, der als einer der führenden Köpfe der FARC gilt, hat seine Konsequenz aus der Situation gezogen. Wie die kubanische Nachrichtenagentur Prensa Latina am Mittwoch berichtete, verzichtet er darauf, seinen Sitz im Senat einzunehmen. »Wie soll ich das anstellen? Ich komme am 20. Juli als Ergebnis des Abkommens von Havanna in den Senat, und da sagen sie mir dann, dass ich Drogenhändler sei? Für so etwas stehe ich nicht zur Verfügung.« Solange Santrich inhaftiert sei und es für die Vertreter der FARC keine ausreichenden Sicherheitsgarantien gebe, werde er nicht nach Bogotá kommen, sondern im Übergangslager in Caquetá bleiben. »Es ist sehr hart, das zu sagen, denn es bedeutet, dass der Friedensprozess in Kolumbien gescheitert ist.«

Erschienen am 28. April 2018 in der Tageszeitung junge Welt