30 Prozent Lohnerhöhung reichen nicht

Hunderttausende Menschen sind am 1. Mai in Venezuelas Hauptstadt Caracas für und gegen die Sozial- und Wirtschaftspolitik der Regierung von Präsident Nicolás Maduro auf die Straße gegangen. In einem Sternmarsch zogen die Unterstützer des bolivarischen Prozesses von drei Startpunkten aus in das Zentrum der Millionenmetropole, während sich die Oppositionellen zu einem Marsch im Westen der Hauptstadt versammelten. Zentrales Thema beider Kundgebungen war die am Vorabend des 1. Mai von Maduro angekündigte Erhöhung des Mindestlohns um 30 Prozent. Obwohl dies bereits die zweite Anhebung in diesem Jahr war – im Januar betrug die Steigerung zehn Prozent –, kritisierte der Chef der Pressegewerkschaft SNTP, Marcos Ruiz, den Zuwachs als nicht ausreichend, da sie die höheren Kosten für die Lebensmittelversorgung nicht berücksichtige.

 

Am Rande der linken Demonstration wies die stellvertretende Arbeitsministerin, Valentín Ovalles, diese Kritik zurück. Die Erhöhung decke die Lebenshaltungskosten ab und sorge für »größtmöglichen sozialen Wohlstand«. Viele der Teilnehmer dort forderten jedoch ebenfalls entschiedenere Maßnahmen gegen die Inflation. Die mit der Regierung verbündete Kommunistische Partei Venezuelas (PCV) etwa bezifferte die notwendige Erhöhung des Mindestlohns auf 59,3 Prozent – das sei die offiziell festgestellte Preissteigerung zwischen März 2013 und März 2014, erklärte Politbüromitglied Pedro Eusse bei einer Pressekonferenz in Caracas.

Präsident Maduro nutzte seine von allen Rundfunk- und Fernsehsendern des Landes übertragene Ansprache bei der Kundgebung auf der Plaza O’Leary im Zentrum der Hauptstadt für scharfe Kritik an den USA. Die Administration in Washington mische sich offen in die inneren Angelegenheiten Venezuelas ein. »Ich werde Beweise für die direkte Beteiligung von Beamten der US-Botschaft an der Verschwörung mit den Leuten vorlegen, die den Putschversuch anführen.« Die seit Mitte Februar anhaltenden gewaltsamen Straßenblockaden seien nichts anderes als der Versuch, die Regierung zu stürzen – und keine »friedlichen Demonstrationen«, deren »gewaltsame Unterdrückung« US-Außenminister John Kerry erneut beklagt hatte. Vielmehr sei auch die Ermordung von Eliézer Otaiza, einem langjährigen Mitstreiter von Hugo Chávez, von Miami aus geplant worden. Der Vorsitzende der Stadtrates von Caracas war am Montag ermordet aufgefunden worden (jW berichtete). Die Ermittler gingen zunächst von einem Raubüberfall aus, inzwischen verdichten sich jedoch offenbar die Hinweise auf einen politischen Hintergrund. »Wir werden die Auftraggeber der Verbrecher, die Eliézer Otaiza ermordet haben, ausfindig machen, das schwöre ich beim Andenken an unseren Comandante (Hugo Chávez)«, erklärte Maduro.

Erschienen am 3. Mai 2014 in der Tageszeitung junge Welt