20:3 für die Revolution

Die in der Hauptstadt Caracas in Massenauflage kostenlos verteilte Tageszeitung Ciudad CCS titelte am Montag morgen auf ihrer komplett in rot gehaltenen Titelseite: »Perfekte Ohrfeige«. Erlitten hat diese die rechte Opposition Venezuelas. Nur Stunden zuvor hatte die Präsidentin des Nationalen Wahlrats (CNE), Tibisay Lucena, die Ergebnisse der am Sonntag durchgeführten Regionalwahlen bekanntgeben. Die Vereinte Sozialistische Partei (PSUV) und ihre Verbündeten haben 20 der 23 Bundesstaaten für sich entscheiden und dabei auch die bislang von der Opposition regierten Zulia, Carabobo, Táchira und Nueva Esparta mit der Urlaubsinsel Margarita erobern können. Auch in absoluten Zahlen gewannen die Sozialisten die Mehrheit: 4,37 Millionen Menschen (56,2 Prozent) stimmten für die PSUV, nur 3,4 Millionen (43,8 Prozent) für die Opposition. Die Beteiligung lag bei 54 Prozent und damit nicht nur – wie erwartet – deutlich unter der bei der Präsidentschaftswahl am 7. Oktober, sondern auch mehr als zehn Punkte unter der bei den Regionalwahlen von 2008. Für venezolanische Verhältnisse war es trotzdem ein überdurchschnittlicher Andrang, bei der Entscheidung über die Gouverneure 2004 etwa hatten nur 45,7 Prozent der Berechtigten ihre Stimme abgegeben.

 

Die Abstimmung hatte lange im Schatten der Präsidentschaftswahlen gestanden, viele Menschen zeigten sich politikmüde. Hinzu kam die Frustration der Oppositionsanhänger, die sich von ihrer Niederlage im Oktober noch nicht erholt haben, als sie fest mit einem Ende der Regierungszeit von Hugo Chávez gerechnet hatten. So mancher Angehöriger der Mittelschicht ignorierte deshalb diesmal die Wahlen und zog den Weihnachtsurlaub vor. Die Flüge nach Miami und zu anderen bevorzugten Zielen waren schon seit Tagen ausgebucht. Henrique Capriles Radonski, der bei der Präsidentschaftswahl Chávez unterlagen war und sich nun um die Wiederwahl als Gouverneur des Bundesstaates Miranda bewarb, kritisierte deshalb in den Tagen vor der Abstimmung den – zwischen Regierung und Opposition ausgehandelten – Zeitpunkt der Wahlen. Es habe keine Kampagnenatmosphäre gegeben, zudem sei das Klima »eiskalt« gewesen. Den Angaben des Wetterdienstes Foreca zufolge lagen die Temperaturen in Miranda in den Tagen vor der Wahl konstant zwischen 25 und 30 Grad.

Capriles hatte offenbar selbst nicht mehr damit gerechnet, die Wahl gewinnen zu können, und tatsächlich deutete zuletzt vieles auf einen Sieg des früheren Vizepräsidenten Elías Jaua hin. Doch letztlich setzte sich die Opposition in Miranda noch einmal durch und erreichte 52 Prozent, während Jaua nur auf 47,6 Prozent kam und seine Niederlage eingestand. Für Capriles bedeutet dieses Ergebnis eine Bestätigung seiner führenden Rolle im Oppositionslager, zumal sein wichtigster Rivale, Zulias bisheriger Gouverneur Pablo Pérez, die Wahl gegen den PSUV-Kandidaten Francisco Arias Cárdenas verlor. Trotzdem zeigte sich Capriles als schlechter Gewinner. »Ich freue mich definitiv für Miranda, aber ich fühle zugleich großen Kummer«, sagte er bei einer Pressekonferenz mit Blick auf die Ergebnisse der Opposition im übrigen Land. »Es wird der Augenblick kommen, an dem wir, die übergroße Mehrheit der Venezolaner, den Traum erreichen werden, den wir verwirklichen wollen. Wir Venezolaner wollen eine Regierung, die für uns alle spricht, und die werden wir bekommen«, sagte er in Verkennung der realen Mehrheitsverhältnisse im Land, die sich am Sonntag wie auch bei der Präsidentschaftswahl gezeigt hatten.

»Er hat wohl gemerkt, daß 20 Regionalregierungen mehr sind als drei«, kommentierte süffisant Vizepräsident Nicolás Maduro die Äußerungen Capriles’. Auch Lara, Miranda und Amazonas, in denen sich die Opposition durchsetzen konnte, »werden eher früher als später auf den Weg des Heimatlandes zurückkehren«. Das venezolanische Volk habe »dem Comandante Hugo Chávez ein Geschenk gemacht«, kommentierte er. Der Ausgang der Wahlen sei »ein historischer, gigantischer Sieg«, der belege, daß das Volk das Regierungsprogramm der Bolivarischen Revolution unterstütze.
Im kommenden Jahr stehen in Venezuela noch Kommunalwahlen an. Dann werden auch die Einwohner der Hauptstadt Caracas, die am Sonntag nicht wählen konnten, zu den Urnen gerufen, um über ihren Oberbürgermeister zu entscheiden.

Erschienen am 18. Dezember 2012 in der Tageszeitung junge Welt und am 19. Dezember 2012 in der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek