100 Tage Widerstand

Als ein Militärkommando am 28. Juni die Residenz des Präsidenten von Honduras in Tegucigalpa stürmte, den gewählten Staatschef Manuel Zelaya im Schlafanzug aus dem Bett zerrte und per Flugzeug nach Costa Rica verbannte, hatten sich die Drahtzieher dieses Staatsstreiches durchaus auf einige heiße Tage eingerichtet. Um die Legalität der Vorgänge zu demonstrieren, präsentierte man ein Rücktrittsschreiben Zelayas, berief sich auf bestehende Haftbefehle und rief das Parlament zusammen, das dann einstimmig den Parlamentspräsidenten Roberto Micheletti zum neuen Staatschef wählte. Doch die Schmierenkomödie funktionierte nur kurz, dann bekam das Bild von einer »rechtmäßigen Ablösung« Zelayas Risse. Das Rücktrittsschreiben stellte sich als Fälschung heraus. Menschenrechtsorganisationen stellten fest, daß die angeblichen Haftbefehle gegen Zelaya in den Akten der honduranischen Staatsanwaltschaft weder am 28. Juni noch in den Tagen zuvor vermerkt worden waren, erst drei Tage nach dem Putsch wurde ihre Ausstellung notiert. Und die »einstimmige« Parlamentsentscheidung kam nur zustande, weil die Abgeordneten der Linkspartei UD und andere, die dem Zelaya-Lager zugerechnet wurden, einfach nicht zur Sitzung eingeladen worden waren. Damit die leeren Reihen nicht auffielen, wurden Journalisten und Polizisten auf die Plätze der fehlenden Abgeordneten gesetzt.

Wie wohl nie zuvor nach einem Staatsstreich in Lateinamerika wurden die Putschisten von einer einhelligen, weltweiten Ablehnung überrollt. Innerhalb weniger Stunden verurteilten die Bolivarische Allianz ALBA, die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), die UNO und andere internationale Gremien den Putsch und erklärten, daß sie Manuel Zelaya auch weiterhin als rechtmäßigen Präsidenten des zentralamerikanischen Landes anerkennen. In Tegucigalpa und anderen Städten des Landes gingen Tausende Menschen auf die Straße und stellten sich dem Polizei- und Militäraufgebot entgegen.

100 Tage später finden noch immer Tag für Tag Demonstrationen, Aktionen und Streiks gegen die Putschisten statt. Vor zwei Wochen gelang es Zelaya nach zuvor zwei gescheiterten Versuchen, wieder in sein Land zurückzukehren. Seither harrt er im Gebäude der brasilianischen Botschaft aus, die vom Militär umstellt ist. Augenzeugen berichteten von riesigen Lautsprechern, aus denen die Soldaten die Botschaft mit unerträglichem Lärm beschallten. Zelaya selbst berichtete bei einer Pressekonferenz von giftigen Gasen, die von den Machthabern gegen das Gebäude der Vertretung eingesetzt wurden und die Atembeschwerden und Hautausschlag verursachten. Das Regime verhängte den Ausnahmezustand und hob die Grundrechte der Honduraner auf. Zugleich phantasiert Diktator Micheletti davon, daß die »Transparenz« der für den 29. November geplanten Präsidentschaftswahl weder durch den Putsch noch durch die häufigen Ausgangssperren und Demonstrationsverbote beeinträchtigt würde. Zwei der wenigen Sender, die ihm bei solchen Darstellungen widersprochen haben, wurden in der vergangenen Woche vom Militär gestürmt und geschlossen, die technische Einrichtung wurde aus den Studios von Radio Globo und dem Fernsehsender Canal 36 abtransportiert.

Bereits am vergangenen Dienstag bezifferte Zelaya die Zahl der seit dem Putsch durch das Regime ermordeten Menschen gegenüber dem Fernsehsender TeleSur auf mindestens 100. Der rechtmäßige Präsident forderte die Vereinten Nationen auf, ihre Boykottmaßnahmen gegen die Putschisten zu verstärken. Costa Ricas Präsident Óscar Arias, der sich wochenlang als Vermittler zwischen Zelaya und den Putschisten versucht hatte, betonte unterdessen, daß unter Kontrolle des Regimes durchgeführte Wahlen von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt würden.

Erschienen am 5. Oktober 2009 in der Tageszeitung junge Welt